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Kultur: Süße der Haut

Ein Obdachlosenstück, uraufgeführt im Berliner Podewil: "Be nice or leave.Thank you", das vehemente Körpertheater der Portugiesin Angela GuerreiroVON SANDRA LUZINAGanz unten hat Angela Guerreiro ihre neue Produktion angesiedelt.

Von Sandra Luzina

Ein Obdachlosenstück, uraufgeführt im Berliner Podewil: "Be nice or leave.Thank you", das vehemente Körpertheater der Portugiesin Angela GuerreiroVON SANDRA LUZINAGanz unten hat Angela Guerreiro ihre neue Produktion angesiedelt."Be nice or leave.Thank you" nennt sie ihr Stück über Obdachlose, das im Rahmen der Reihe "Körperstimmen" im Podewil uraufgeführt wurde.Zusammen mit der Fotografin Bettina Clasen hat die Portugiesin in vier europäischen Städten recherchiert.Die Fotos im Foyer erschöpfen sich nicht im Dokumentarischen; die Inszenierung ist keinesfalls als Milieustudie zu verstehen.Kein Aufstand der Entrechteten: sozialkämpferisch kommt uns Angela Guerreiro nicht.Säuberlich gefaltete Wäschestapel säumen den Bühnenrand.Eine Projektion zeigt ein Flugzeug beim Start.Auf der Bühne dagegen wird Stillstand geprobt.Vier Tänzer schlurfen umher, schwenken Plastiktüten.Ein Walkman-Autist brabbelt vor sich hin.Malerischer Look wird vorgeführt.Der Gefahr, schöngeschminktes Elend zu präsentieren, erliegt das Stück immer wieder, doch zwischendurch gelingen Angela Guerreiro bewegende Szenen.Da ist der langbeinige Aloisio Avaz, der sich mit Spielzeugmöbeln ein Heim imaginiert, die Minitaturidylle dann aber mit unwirscher Geste zerstört.Aus Klappstühlen baut sich die dunkelhäutige Cristina Moura ein wackliges Quartier. Diese Unbehausten haben keinen Ort, sind aller Zugehörigkeiten beraubt, suchen Geborgenheit und erfahren den permanenten Absturz.Individuelle Elends-Karrieren werden nicht geschildert, geboten wird ein Theater der physischen Vehemenz.Zu sehen sind Körper, die sich immer wieder aufrappeln, immer wieder brutal hinschlagen.Die Choreographin zeigt, wie sich die Gewalt in ihnen eingeschrieben hat.Aggressive Ausbrüche von schonungsloser Härte, jede Bewegung hat die Wucht eines Schlages.Rüde Attacken schlagen um in Selbstverletzung.Eine der stärksten Szenen zeigt den Wunsch nach Berührung unter Menschen, die zu Unberührbaren wurden.Sie träumen von der Süße der Haut, stecken fremd in ihrem Körper, graben ihre Nase tief in das fremde Fleisch, beschnüffeln sich selbst.Verlangen weicht dem (Selbst-) Ekel.Aus Annäherungen werden sexuellen Übergriffe.Gierig streichelt Marc Rees den Pelzkragen, begrapscht immer aufdringlicher den Körper der Frau.Fiona Gordon wehrt sich, indem sie ihren Sex, ihren Körper zur Waffe macht.Isolation der Parias wird erfahrbar.Wenn sie Kontakt erzwingen und Nähe verweigern, rücken uns diese Randexistenzen ganz nah.Da wird Obdachlosigkeit zur Chiffre für Einsamkeit und Entfremdung. Podewil: noch einmal 26.4., 20 Uhr 30

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