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Der Surfer Fettah (Fettah Lamara) will weg aus Marokko.

© Neue Visionen

Surferdrama: "Atlantic": Der Geschmack von Meersalz

Ein marokkanischer Surfer sucht seinen eigenen Weg nach Europa: „Atlantic“ ist ein Sehnsuchtsfilm, den Jan-Willem van Ewijk mit echten Surfern gedreht hat.

Er müsste nicht fortgehen, der junge Fischer Fettah. Nicht versuchen, über das Meer nach Europa zu gelangen wie so viele derzeit. Tausende. Er tut es trotzdem. Dass er die Gefahr des Ertrinkens auf sich nimmt, hat mehr mit dem Meer selbst zu tun als mit der blonden Frau, die eines Tages als Freundin eines niederländischen Windsurfers in seinem marokkanischen Küstendorf auftaucht. Die Frau ist schön (Thekla Reuten), und es entspinnt sich eine scheue Zärtlichkeit zwischen ihr und Fettah (Fettah Lamara). Aber das wäre dann doch zu romantisch: ein Fischer, der einer Nixe in die Abgründe des Ozeans folgt.

„Atlantic“ von Jan-Willem van Ewijk erzählt von einer anderen Sehnsucht. Es ist die älteste Sehnsucht, die es gibt. Die begehrte Frau ist dafür nur ein Symbol. Es ist die Sehnsucht danach, sich etwas weniger verlassen vorzukommen. Als Kind hat Fettah seine Mutter verloren. Sie sei im Meer ertrunken, heißt es. In seiner Kammer hängt ein einziges Bild von ihr, mit ihrem Sohn an ihrer Seite. An diesem ersten Verlust dürfte es liegen, dass der nun über 30-jährige, ein wenig schwermütige Mann noch immer keine Frau fürs Leben gefunden hat.

Mit dem Surfboard über den Ozean

Nun ist der begabte Windsurfer aber längst der Schaumgeborene, der weniger talentierten Europäern Tipps gibt und sich mit ihnen anfreundet. Sie kehren auch immer wieder, bezahlen für Unterkünfte und lassen auch das ramponierte Equipment da. Aber wenn sie davonfahren mit ihren Jeeps, bleibt Fettah, dem Meister der Wellen, nur die Existenz des Fischers. Und was sie für ihn vorsieht, das kann er an seinem Vater ermessen, wenn der den schweren Außenbordmotor auf den gebeugten Rücken lädt. Mit der blonden Frau ist Fettah über den Strand spaziert, aber er ist zu arm, um seine Cousine zu heiraten.

Der Weg über das Meer nach dort, wo es anders wäre, ist ihm als Surfer nicht versperrt. Er braucht keine Schlepperbanden, kein Geld. Eine Tüte Linsen als Wegzehrung tut es auch. Also trägt er sein Board eines Morgens zur Brandung und schnellt davon. Vor allem die Aufnahmen des Windsurfers in dieser wogenden Welt, des winzigen Segels in einem dramatischen Blau, der Irrsinn der Unternehmung machen „Atlantic“ zu einem beeindruckenden Film, einem der poetischsten Surfer-Filme überhaupt.

Freiheit und Aufbruch

Der Regisseur Jan-Willem van Ewijk ist selbst passionierter Windsurfer. Das Personal für seine Story entdeckte er auf der Suche nach einem Surfspot in Marokko – und spielt selbst den Surfer, der seine schöne, stille Freundin Alexandra nach Moulay Bouzerktoun mitbringt. Dort, am Strand, improvisierte er die Handlung mit lokalen Surfern, zu denen auch Fettah Lamara zählte, und aus derselben Freundschaft heraus, deren Schatten Fettah im Film die Lebensfreude rauben wird.

„Atlantic“ ist gewissermaßen das verfilmte schlechte Gewissen des Regisseurs. Aber das Mitgefühl mit Leuten wie Lamara, der hier zum ersten Mal vor der Kamera steht, hat van Ewijk in den allen Surfern gemeinsamen Sinn für Freiheit, Aufbruch und Zuversicht verwandelt. Mit sehr geringen Mitteln hat er sich in das „grausige Abenteuer“ der Dreharbeiten auf dem Atlantik gestürzt, und tatsächlich, das Salz des Meeres lässt sich in jeder Einstellung schmecken.

Es ist ein bitterer Weg über das offene Meer. Wohin sich wenden in dieser Weite? Als Fettah in der Stunde seiner größten Not erkennt, worauf er sich eingelassen hat, denkt er nicht mehr an die europäische blonde Schöne, sondern an seine Nichte Wisal – das laut und schamlos kichernde Mädchen, das er zurückgelassen hat.

OmU: Central, Moviemento, Zukunft

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