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Kultur: Surrealer Abgesang

Venedig glänzt mit Kunst: Dalí im Palazzo Grassi, Turner im Museo Correr, Baziotes bei Guggenheim

Wohl zum letzten Mal hat sich Venedigs Ausstellungshaus Palazzo Grassi zu einer seiner legendären Großveranstaltungen aufgerafft. Der Fiat-Konzern, der mit der Übernahme und Sanierung des maroden Hauses 1986 eine glanzvolle Ära für die Lagunenstadt begründete, ist nicht länger gewillt, die – stets geheim gehaltenen und nach Meinung von Kennern wohl auch allzu üppigen – Kosten aufzubringen. Die Stadt wünscht eine weitere kulturelle Nutzung; so versandeten denn auch Verhandlungen zwischen Fiat und dem Textilunternehmen Benetton, das das wunderschön am Canal Grande gelegene, seinerzeit von Star-Architektin Gae Aulenti aufwändig hergerichtete Gebäude eher als Showroom nutzen wollte.

Grassi-Ausstellungen, ob kunst- oder kulturhistorisch, waren stets als Besuchermagneten angelegt. Das tat der makellosen Qualität nahezu aller Projekte keinen Abbruch. So auch diesmal. Mit einer Retrospektive zu Salvador Dalí kann man beim touristischen Publikum Venedigs kaum fehl gehen. Was Kuratorin Dawn Ades, eine seit ihrer großen Londoner Surrealismus-Ausstellung von 1978 ausgewiesene Expertin, gemeinsam mit der Dalí-Spezialistin Montse Aguer versammelt hat, kann sich mit der Maßstab setzenden Pariser Retrospektive zu Dalís 75. Geburtstag 1979 vergleichen.

Ausgangspunkt ist die vom Künstler selbst behauptete Zweiteilung seines Œuvres in eine Zeit vor und eine nach dem Gang ins amerikanische Exil 1939. Dieser – seither die Dalí-Rezeption bestimmenden – Dichotomie arbeitet die Ausstellung entgegen, indem sie das Pferd von hinten aufzäumt. Sie stellt das stets minder geschätzte Spätwerk an den Anfang des festgelegten Rundganges, um erst aus dieser Perspektive eine gewissermaßen filmische Rückblende auf die Entwicklung des Künstlers vorzunehmen. Dalí soll als genialer Künstler rehabilitiert werden, nachdem ihn die Fachkritik – auch in diesem Jubiläumsjahr seines 100. Geburtstages – allzu sehr in die Ecke des berechnenden Strategen und Selbstvermarkters geschoben hatte.

Für diese Sicht gibt es in Venedig zahlreiche Belege. Doch die Ausstellung glänzt auch mit einer Vielzahl von Hauptstücken. Die Empörung über den vermeintlichen Faschismus-Freund und katholischen Renegaten ist ohnehin historisch geworden. So vermag auch „Das Rätsel Hitlers“ von 1938 nicht mehr zu verstören. Die „paranoisch-kritische Methode“, die Dalí für sich reklamiert hat, wird in jedem besseren Schulbuch aufgedröselt. Dalís Bilder, mögen es auch Meisterwerke wie die „Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen (Vorahnung des Bürgerkriegs)“ von 1936 sein, entkräften den Verdacht einer äußerst klarsichtig angelegten Konstruktion mitnichten. Insofern ist alles zu Dalí gesagt, nur wird es nicht immer derart glanzvoll veranschaulicht wie in der venezianischen Retrospektive. Ihrem Konzept zum Trotz untermauert sie einmal mehr, das der Künstler seine tatsächlich genialen Jahre kurz vor dem Zweiten Weltkrieg und seinem amerikanischen Exil hatte. Das, nebenbei, trug ihm André Bretons böses Anagramm vom berechnenden, geldgierigen Salvador Dalí ein, „Avida Dollars“.

Entdeckungen? Wenn es noch zu entdecken wäre: das Frühwerk. Es zeigt eindrucksvoll, mit welcher, offenbar von Anfang an gegebenen Sicherheit sich der junge Künstler durch die gesamte Pariser Moderne durcharbeitet. Er hätte ein vorzüglicher Kubist werden können, aber er wollte mehr. Die Verwirklichung des eigenen Lebensentwurfs als Genie, das ist das durch eine Fülle von herausragenden Werken belegte Faszinosum der Ausstellung im Palazzo Grassi. Damit wird Dalís Ansatz allerdings nicht mehr lebendig. Die Psychoanalyse mit dem Pinsel ist – allen Verehrern Dalís sei’s gesagt – nun einmal Geschichte geworden.

Über das Verhältnis von Geschichtlichkeit und Modernität nachzudenken, gibt in Venedig derzeit eine weitere Ausstellung von Rang Gelegenheit. „Turner und Venedig“ ist nach dem Erstauftritt in der Londoner Tate Gallery – die die Mehrzahl der Leihgaben beisteuert – im Museo Correr zu Gast. Drei Mal war William Turner (1775–1851) in Venedig zu Besuch, 1819, 1833 und 1840; und jeweils im Kontext einer größeren Reise durch Europa. Seit den Veduten Canalettos war Venedig für die englische Oberschicht ein Sehnsuchtsort. Turner aber, zutiefst beeinflusst von der literarischen Romantik etwa eines Byron, suchte nicht das Pittoreske des konkreten Ortes, sondern die unvergleichlichen Stimmungen, die seine Aquarelle vom Zwang zur Wirklichkeitswiedergabe gerade befreien.

Damit weisen Turners Venedig-Studien weit voraus oder besser noch, sie liegen quer zum herkömmlichen Entwicklungsschema vom Realismus des 19. zur Abstraktion des 20. Jahrhunderts. Zumindest an Turners Aquarellkunst gehen derlei Schubladenbegriffe vorbei, wenngleich er sich in den ehrgeizigen Gemälden sichtbar am durch Canaletto gesetzten Standard der Vedute orientiert.

Die bei letzter Dämmerung oder in dunkler Nacht geschaffenen Aquarelle hat er, mit ein oder zwei Ausnahmen, zeitlebens niemals ausgestellt. Sie scheinen dem heutigen Betrachter in ihren zu bloßen Kürzeln geschrumpften Wirklichkeitshinweisen geradezu als Inbegriff dessen, was erst die Moderne mit der Befreiung vom Abbildungszwang erstrebte.

Die Brücke von der europäischen zur amerikanischen Moderne schließlich schlägt eine dritte Ausstellung in Venedig. Die Peggy Guggenheim Collection zeigt in ihren mittlerweile behutsam erweiterten Räumen eine kleine, aber vollgültige und beispielhafte Übersicht über das Werk des aus einer griechischen Auswandererfamilie stammenden William Baziotes (1912- 1963). Sein Werk oszilliert zwischen den europäischen Vorbildern aus Kubismus und Surrealismus und der Unbändigkeit der abstrakten Amerikaner in New York, wohin er 1933 übersiedelt war. Peggy Guggenheim gab dem an sich selbst Zweifelnden 1944 die erste Solo-Ausstellung in ihrer New Yorker Galerie „Art of this Century“, und so ist die jetzige Ausstellung auch eine Erinnerung an Peggys fördernde Galeristenarbeit.

Baziotes ging nicht den Weg zum All-over. Seine Bilder blieben stets klar gegliedert: an Klee erinnernd statt an Pollock; ungeachtet seiner Aussage, jedes Bild intuitiv als „Hinweis auf etwas“ zu entwickeln. Seine Abstraktion ist lyrisch und wird zunehmend zarter, sie ist nicht expressiv und schon gar nicht gewalttätig. „Meine ganze Absicht ist es, ein Ding poetisch zu machen“, erklärte er 1956: „Ich suche etwas, das Stimmungen hervorruft, einen Hintergrund, eine Bühne für gewisse Charaktere.“

Das klingt so gar nicht amerikanisch, und tatsächlich entfernte sich Baziotes immer mehr von der New Yorker Schule, mit der er anfangs ausstellte. In Venedig allerdings ist seine lyrische Abstraktion aufs Schönste zu Hause.

Dalí: Palazzo Grassi, bis 16. Januar. Katalog (ital. o. englisch) 48 €, bei Schirmer/Mosel (englisch) geb. 69,80 €. – Turner: Museo Correr, bis 23. Januar, Katalog (Electa, italienisch) 30 €. – Baziotes: Peggy Guggenheim Collection, bis 9. Januar, Katalog (Skira, ital. oder englisch) 29,50 €.

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