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Kultur: Swing als Virus

Subversive Schlager: eine Michael-Jary-Revue

Arbeitslose stehen vor einer Essensausgabe Schlange, die SA marschiert, doch ein junger Mann hat nichts Besseres zu tun, als am Klavier einen Gassenhauer zu improvisieren: „Am Montag fängt die Woche an, am Sonntag hört sie auf / Das Bisschen, was dazwischenliegt, das nennt man Lebenslauf.“ Der junge Mann ist der Komponist Michael Jary, die Musikrevue „Haben sie schon mal im Dunkeln geküsst?“ im Kleinen Theater zeigt, wie er zu einem der erfolgreichsten Unterhaltungsmusiker des Dritten Reichs aufsteigt: sozusagen als Drahtseiltänzer, jederzeit vom Absturz bedroht.

Für Zarah Leanders Ufa-Melodramen liefert Jary Durchhalteschlager wie „Davon geht die Welt nicht unter“ und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“, Goebbels ist begeistert. Aber der Komponist hat bei Schönberg studiert, seine Musik wird als „kulturbolschewistisches Gestammel“ attackiert. Und Bruno Balz, sein kongenialer Texter, ist so schwul, dass er selbst knackigen SA-Männern hinterherpfeift.

Die Revue ist mehr als ein sich bloß an der Biographie der Hauptfigur entlanghangelndes Musical, immer wieder gelingt es Regisseur James Lyons, die Ängste und die Abgründigkeit einer ganzen Ära in prägnante Szenen zu fassen. Ein Werner-Finck-Wiedergänger macht subversive Witze, die Darstellerinnen von Evelyn Künneke, Rosita Serrano und der Leander scatten, kieksen, raunen wie ihre Vorbilder und können außerdem noch großartig steppen. „Swing ist ein Virus“, heißt es einmal. Der mitreißende Abend beweist, wie überlebensfähig er bis heute ist.

Kleines Theater, Südwestkorso 64, wieder am 20., 21., 27., 28., 29. 12., 20 Uhr.

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