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Kultur: Swing, Rattle and Roll - Sir Simon Rattle bringt die Berliner Philharmonie zum Tanzen (Glosse)

Wenn man mit einem einzigen Wort die Art beschreiben sollte, wie das Berliner Philharmonische Orchester Musik macht, würde wohl kaum jemand auf Anhieb antworten: "Sie swingen." Das sollten sie aber.

Wenn man mit einem einzigen Wort die Art beschreiben sollte, wie das Berliner Philharmonische Orchester Musik macht, würde wohl kaum jemand auf Anhieb antworten: "Sie swingen." Das sollten sie aber. Nicht immer, aber immer öfter. So wie zum Beispiel Anfang Juni, beim letzten Konzert mit Sir Simon Rattle in der Philharmonie: Da ließ das Orchester zwei Haydn-Sinfonien derartig swingen, dass der Saal jubelte. So frisch, so hintersinnig, so rhythmisch mitreißend hatte man die Partituren des guten alten Papa Haydn noch nie gehört. Im ersten offiziellen Interview nach seiner Wahl zum Nachfolger Claudio Abbados auf der Pult-Position des besten deutschen Orchesters hat Simon Rattle im "Spiegel" jetzt den Swing zum philharmonischen Motto ab dem Jahr 2002 erklärt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der 44-jährige Liverpooler will die Damen und Herren Philharmoniker in seiner Amtszeit nicht zur teuersten Big-Band aller Zeiten umfunktionieren - nur soll neben dem Weihevollen und dem Feingeistigen zukünftig auch das Ausgelassene, das Lockere wieder mehr Platz in den Programmen des Orchesters haben.

"Für mich ist Jazz kein Substantiv, sondern ein Verb", sagt der ausgebildete Schlagzeuger Rattle, und wer ihn schon live erleben durfte, weiß, was er meint. Egal, mit welcher Epoche sich Sir Simon beschäftigt - und er interessiert für alle, vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik -, immer ist es sein Ziel, den Notentext zum Leben zu erwecken. Er hat da einen ganz einfachen Trick: Zuerst arbeitet er sich mit Akribie in die Regelwerke der jeweiligen Zeit ein - und vergisst alles dann wieder ganz schnell, um den Kopf frei zu haben für seine eigene Version des Werks. Eben für den Swing.

Und weil die Philharmoniker schließlich kein "Haufen von Gralshütern" seien, ist sich Rattle sicher, dass er die Berliner mit seiner Leidenschaft dauerhaft anstecken kann, egal, ob sie nun die neueste Komposition von Thomas Adès zusammen spielen oder eine Mozart-Sinfonie. Schließlich hatten die Musiker in der heißen Wahlphase wochenlang um ein Konzept für die Philharmoniker des 21. Jahrhunderts gerungen und nicht um Dirigentennamen. Das habe ihn schon sehr beeindruckt, gibt er zu Protokoll - um gleich darauf hinzuzufügen: "Ich will und muss von diesem Orchester vor allem noch sehr viel lernen." So uneitel ist er wirklich. Und so witzig: Gefragt, warum die Kapellmeister innerhalb der Musikerzunft immer das größte Charisma hätten, platzt es aus ihm heraus: "Weil man sie meist von hinten sieht." So swingt er.

Nur eines kann der Maestro nicht: Tanzen. Aber da ist er in guter Gesellschaft: Als ihn Eliette von Karajan beim Wiener Opernball auf der Flucht vor Kurt Waldheim aufs Parkett zog, kommentierte sie seine Tanzkünste immerhin mit den Worten: "Herbert war ein noch viel schlechterer Tänzer als Sie."

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