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Eröffnungsredner. Durs Grünbein.

© picture alliance / dpa / Timo Lindemann

Symposium im LCB: In Zeiten verschärfter Rhetorik

„Wörter schlafen nicht“: Bei einem Symposium am Literarischen Colloquium Berlin überschneidet sich Literatur, Politik und Wissenschaft.

„Die Wörter schlafen nicht in den Wörterbüchern / Sie ziehen um den Block, ziellos, spielen mit Munition.“ Mit diesen Zeilen beginnt Durs Grünbeins Gedicht „Vom Erlernen alter Vokabeln“. Sie inspirierte nun das Literarische Colloquium Berlin zu einem ungewöhnlichen linguistischen und begriffsgeschichtlichen Debattenformat: ein zweiteiliges Symposium mit dem Titel „Wörter schlafen nicht“, bei dem sich literarische, politische und wissenschaftliche Sphäre fruchtbringend überschnitten.

Eine Sanduhr gab das Tempo vor: Je dreizehneinhalb Minuten hatten die zu sechs Tandems zusammengespannten Referentinnen und Referenten für ihre Kurzessays und die anschließenden Diskussionen. In seiner Eröffnungsrede bezog sich Durs Grünbein auf George Orwells unverwüstliche Dystopie „1984“ und die darin problematisierte Sprache als „Substanz, die Wirklichkeit schafft.“ Wir lebten in Zeiten verschärfter Rhetorik, so der leidenschaftliche Wahl-Römer: „Die Hartherzigen, die Engstirnigen, die Ewiggestrigen geben den Ton an. Und die meisten der Zuhörer wundern sich, was hier inszeniert wird. Denn nun rächt sich, dass der Lateinunterricht abgeschafft ist, die Rechtslage ungeklärt, die Grundregeln einer Demokratie unbekannt, und niemand mehr Vergleichsmöglichkeiten hat und ein inneres, historisch geschultes Ohr.“

Ob es um so allgemeine Begriffe wie Identität, Vertrauen oder politische Korrektheit ging, die mikroskopiert wurden, oder aber um reizvoll konkrete Ausdrücke wie „Privatsache“: Die sprachliche Verunsicherung ist mit Händen zu greifen. Da tat es wohl, dass die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit gewohnter Verve den Rechtsstaat gegen dessen inflationäre Inanspruchnahme verteidigte. Ihr in Dresden lebender Tandempartner Marcel Beyer sieht den Rechtsstaat durch ein dumpfes bis gewaltbereites Unbehagen an der Demokratie gefährdet. Dafür prägte er den Terminus „Hooliganmoral“ – osteuropäischen Autoren wie Sergei Jessenin und Mihail Sebastian („Wie ich zum Hooligan wurde“, 1935) galt der Hooligan einst als Anti-Bourgeois. Vom moralischen Verfall affiziert sieht Beyer nicht zuletzt Innenminister Horst Seehofer, nachdem dieser an seinem 69. Geburtstag über die Abschiebung von 69 Flüchtlingen frohlockt hatte.

Missverstehen als Teil demokratischer Auseinandersetzung

Erfrischend unorthodox ging es bei den Interventionen des Lyrikkollektivs G 13 zu, das eine rein männlich besetzte LCB- Diskussionsrunde anno 1964 nachstellte, oder als sich der Kulturwissenschaftler Falko Schmieder mit Marlene Streeruwitz unterhielt. Dabei spannte die Wiener Schriftstellerin einen furiosen Bogen von der neoliberalen „Privatisierung“ von Krankheit über die „testikuläre Männlichkeitskonstruktion“ der FPÖ (abgeleitet von „’The privates’. Das Gemächt“) bis hin zum Großkapital: „Der österreichischen Rechten geht es darum, das Territorium des großen Geldes zu privatisieren und dem industriellen Territorium gleichzustellen.“

Das Literarische Colloquium sollte dieses lebendige Format unbedingt wiederholen. Die Autorin und Philosophin Svenja Flaßpöhler referierte über das Missverstehen als „gesunden, nicht wegzudenkenden Teil demokratischer Auseinandersetzung“. Prompt wurde sie von einem Teil des Publikums, genderbewegt und in Streifenhemden uniformiert, heftig missverstanden. Die mindestens drei, sich falsch angesprochen wähnende Geschlechter umfassende Diskussion entwickelte sich zur unfreiwilligen Slapstick- Einlage. Die Tugendwächter auf der anderen Seite des politischen Spektrums nahm der Wiener Performance-Künstler Jörg Piringer aufs Korn. Unterlegt von knatternden Rhythmen fragte er nach dem, „was man wohl noch sagen dürfe“. Wie meinte doch Durs Grünbein: „Die Affekte der Unzufriedenen vergiften das Klima der Sprache.“

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