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Um die Kindheit betrogen. Einer der acht Söhne des Salafisten Abu Osama, der an der syrisch-türkischen Grenze den „Heiligen Krieg“ unterstützt.

© Port au Prince Pictures

Syrien-Doku „Of Fathers and Sons“: Erziehung zum Töten

Innenansichten des Terrorismus: Im Dokumentarfilm „Of Fathers and Sons“ besucht Talal Derki die Kinder des Kalifats.

Abu Osama lebt an der syrisch-türkischen Grenze in der Provinz Idlib. Er ist ein frommer Mann. Deshalb hat er seine acht Söhne nach sogenannten Märtyrern benannt. Ein besonderes Gottesgeschenk sieht er darin, dass sein Ältester am Jahrestag des Attentats von 9/11 zur Welt kam. Später sollen die Jungs einmal Kämpfer für das Kalifat werden, wie er selbst es schon lange ist. Mittel dazu ist ein Spannungsfeld zwischen unbedingtem Gehorsam dem Vater gegenüber, männlich-religiösem Überlegenheitsgefühl, latenter Gewalt und kleinen Momenten der Zärtlichkeit.

In seinem vielfach preisgekrönten Dokumentarfilm „Rückkehr nach Homs“ zeigte der aus Syrien geflohene, in Berlin lebende Filmemacher Talal Derki 2013 die Radikalisierung junger Assad-Gegner. Nun kehrte er für seinen Film „Of Fathers and Sons“ nach Syrien zurück und erschlich sich als vorgeblich mit den Islamisten sympathisierender Kriegsreporter das Vertrauen des salafistischen Rebellenführers Abu Osama. Zwei gefährliche Jahre blieb Derki in dem Haus: Zeit, an deren Ende der älteste der Brüder (ein Junge von besonders zarter Schönheit) mit 13 Jahren wirklich eine militärische Ausbildung beginnt. Zeit auch, in der der Vater bei seiner Tätigkeit als Minenentschärfer einen Fuß verliert und vom Täter zum Opfer wird. Als Freunde ihn von der Krankenstation ins Haus tragen, hört man im Hintergrund das laute Schreien und Klagen einiger Frauen, die von dem verletzten Mann aber in barschen Worten des Raums verwiesen werden.

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Es ist eine von wenigen Situationen im Film, wo die Anwesenheit von Frauen überhaupt wahrnehmbar wird. Und das immer über Bande: durch ihre Stimmen im Raum wie hier, in der Ferne wie nebenbei aufs Bild gebracht oder als Objekt der Rede ihrer Brüder und Ehemänner. Einmal wird ein Mädchen (eine Schwester?), das es wagt, einige Schritte aus dem Haus zu gehen, von den Jungs dafür mit dem Tod bedroht. Auf Schulmädchen werden Steine geworfen. Und Gespräche in der Männerrunde machen noch einmal deutlich, dass Ehefrauen hier einzig der Produktion von Nahrung und möglichst viel männlichem Nachwuchs dienen.

Die Frauen der Familie nicht zu filmen, war eine Bedingung des Drehs, wie Derki in Interviews berichtet. Es sind klug eingesetzte Kunstgriffe, mit denen der Film diese von außen gesetzte Nichtsichtbarkeit des Weiblichen durch solch indirekte Präsenz unterläuft. Dennoch bleibt der bekanntermaßen zentrale Anteil von Müttern an der extremistischen Erziehung eine klaffende inhaltliche Leerstelle des Films. Auch der deutsche Untertitel „Die Kinder des Kalifats“ wirkt irreführend.

Nicht direkt sichtbar sind auch die körperlichen Grausamkeiten. Wenn einer der Söhne erzählt, dass er einem Vogel genauso den Kopf abgeschnitten hat, wie es der Vater damals „mit dem Mann“ gemacht habe. Wenn gefangene Regierungssoldaten von den Islamisten, wohl zur Erschießung, in einem Hof aufgereiht werden und die Kamera über ihre verängstigten Gesichter streift. Was danach kommt, sieht und hört man nicht.

Außer einer knappen Rahmung bleibt der von Deutschland, Syrien und Libanon koproduzierte Film ganz der beobachtenden Perspektive verpflichtet und beim Alltäglichen, wenn man Leben unter andauerndem Geschützdonner so nennen mag. Politische oder gesellschaftliche Hintergründe wie die Organisation des Schulwesens bleiben unklar. Klar (und wenig überraschend) dafür die Einstellung der Männer, die vom Dritten Weltkrieg für Allah träumen. Sehr deutlich zeigt der Film auch, dass es den Jungen nahezu unmöglich ist, den familiären Banden zu entkommen. Kleine Fluchtwege werden aber angedeutet, etwa wenn einer der Brüder sich wünscht, statt zum Kampftraining erst mal weiter zur Schule zu gehen.

Talal Derkis Vater habe ihn gelehrt, dass man seine Albträume nur in den Griff bekommt, wenn man sie versteht, heißt es am Anfang. Und es ist ebenso naheliegend wie verständlich, dass für einen vor der Gewalt seiner Heimat geflohenen syrischen Filmemacher die erneute Auseinandersetzung mit dieser eine existenzielle und vielleicht auch heilsame Erfahrung ist. Zu fragen ist dennoch, ob die klandestin gedrehte Reise ins Innere des Salafismus ihren Erfolg beim westlichen Publikum nicht doch wesentlich einem Voyeurismus des Schreckens verdankt. „Of Fathers and Sons“ hat mittlerweile über zwanzig Preise weltweit gewonnen. In Idlib spitzt sich der Krieg weiter zu.

In fünf Berliner Kinos; OmU: Delphi Lux, Hackesche Höfe, Moviemento, Zukunft

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