zum Hauptinhalt
Bloß keine Berührungsauftritte. Szene aus einer „Così fan tutte“-Aufführung.

© Baden-Württemberg-Stiftung/Sebastian Marincolo

Syrische Flüchtlinge spielen „Così fan tutte“: Verführung aus dem Serail

Syrische Flüchtlinge spielen Mozarts „Così fan tutte“ im Radialsystem. Ein Gespräch mit der Organisatorin der Inszenierung, Cornelia Lanz.

Zwei Männer wetten um die Treue ihrer Frauen und führen exotisch verkleidet die Holde des anderen in Versuchung. Nicht gerade die passende Geschichte für Gäste aus dem arabischen Kulturkreis? „Ach!“, sagt Cornelia Lanz und wischt den Einwand weg. Ach, Berührungsängste. „Das sind doch Menschen. Die wissen doch, wie es ist. Nur, weil man dort Kopftuch trägt?“ Der Bäumchen-wechsle-dich-Plot ist, grob zusammengefasst, die Handlung von Mozarts Oper „Così fan tutte“, und diese Oper führt Lanz mit syrischen Flüchtlingen auf. „Inzwischen mit über siebzig Teilnehmern. Anfangs waren es dreißig, aber durch die öffentliche Aufmerksamkeit kommen immer mehr aus anderen Orten dazu.“

Zur öffentlichen Aufmerksamkeit gehört auch ein Auftritt in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“. Das Video lässt sich im Internet abrufen. Satiriker nehmen in zynischen Sketchen die europäische Flüchtlingspolitik aufs Korn. Am Ende aber gehört die Bühne dem Chor „Zuflucht“ und seinem Sänger Ahmad Osman, der ein paar Worte an die Zuschauer richtet. Er erzählt vom Leid seiner Heimat und appelliert an die Gastgeber, den Frieden zu bewahren, um jeden Preis. Der Chor stimmt „Janna“ an, „Paradies“, ein syrisches Lied, das auch Eingang in die Operninszenierung gefunden hat – und das Publikum, das eben noch nach der nächsten Pointe Ausschau hielt, erhebt sich erschüttert von den Sitzen.

Auch für diesen Auftritt hat Cornelia Lanz Kritik einstecken müssen. „Es hieß, da bekommen die Verfolgten nur fünf Minuten Aufmerksamkeit“, sagt sie, „aber fünf Minuten sind doch besser als null, oder?“ Schließlich habe die Sendung auch Folgen gehabt: Unterstützer hätten sich gemeldet, Veranstalter und eben weitere Flüchtlinge. Vor allem aber seien die Kulturen wieder einen Schritt aufeinander zugegangen.

Cornelia Lanz hatte für ihr gemeinnütziges Engagement eine ganz eigennützige Idee: Sie wollte die Dorabella singen.

Solche Schritte schienen anfangs undenkbar. Oggelsbeuren, Landkreis Biberach, Baden-Württemberg: Im Mai 2014 rollt der erste Flüchtlingsbus in die beschauliche Gemeinde. Auf den Gesichtern von Ankömmlingen wie Einheimischen spiegelt sich vor allem: Ratlosigkeit. Die einen sind dankbar, aber leiden an Heimweh, die anderen wollen helfen und wissen nicht wie. Ein paar der syrischen Männer können etwas Englisch, Unterkünfte sind in einem ehemaligen Franziskanerkloster organisiert – „und trotzdem“, sagt Cornelia Lanz, „wusste erst mal niemand, was tun.“

Sie selbst kam, wie sie freimütig zugibt, zu ihrem gemeinnützigen Engagement über eine ganz eigennützige Idee: Sie wollte die Dorabella singen. Immer schon. Als ausgebildete Mezzosopranistin organisierte sie mit Kollegen eine „Così“-Inszenierung in ihrer Heimatgemeinde. Die Stiftung, die entsprechende Räumlichkeiten anbot, fragte zugleich an, ob man nicht auch die angekommenen Syrerinnen und Syrer ein bisschen einbinden könne. „Und da habe ich gesagt: Ein bisschen machen wir nicht“, sagt Lanz. „Wenn schon, dann richtig.“

Dann also richtig. Sie zog in die Flüchtlingsunterkunft und lebte mit den Neuankömmlingen. Monatelang. Sie trug sogar ein Kopftuch, nur um zu sehen, wie es ist. Mit dieser Geste überzeugte sie auch die Frauen von ihrem Projekt, „die Kinder waren sowieso dabei, die Männer auch relativ bald. Aber ohne die Frauen wäre gar nichts gegangen.“ Auch sonst lief Lanz häufig Gefahr, in der komplexen, nur vermeintlich patriarchalischen Gesellschaftsstruktur gegen ungeschriebene Regeln zu verstoßen. „Ich war naiv, aber vielleicht hat es gerade deshalb so gut geklappt.“

Längst ziehen alle Beteiligten vorbehaltlos an einem Strang. Das Bühnenbild ist einem Flüchtlingsheim nachempfunden, die Inszenierung spielt mit den Reibungspunkten zwischen arabischer und europäischer Identität. Mozart, sagt Lanz, hätte den Gästen sofort gefallen, außerdem sind Melodien ihres Landes in den Abend eingewoben. Ulm, Stuttgart, München: Im süddeutschen Raum hat das Projekt bereits mehrere Aufführungen erlebt, bevor es nun nach Berlin ins Radialsystem kommt. Am Samstag findet außerdem im Vorfeld ein Podium statt, bei dem Politiker mit der Initiative ins Gespräch kommen. Das Gespräch, der Austausch, sagt Lanz, das sei sowieso das wichtigste, „und wenn beide Seiten in noch so viele Fettnäpfchen treten.“ Lieber noch ein paar Fehltritte mehr als eben: ach, Berührungsängste.

Sa, 21.2. u. So, 22.2., jeweils 19 Uhr, Radialsystem, Holzmarktstraße 33

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false