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In der Hölle. Axel Werner als Überlebender (l.), Ursula Höpfner-Tabori als Scherge.

© dpa

Taboris "Die Kannibalen" am Berliner Ensemble: Bloß keine falsche Pietät

1969 schrieb George Tabori sein Auschwitz-Stück "Die Kannibalen". Es wirkte wie eine Gräte, die im Hals steckenbleibt. Jetzt zeigt das Berliner Ensemble eine Neuinszenierung von Philipp Tiedemann.

Es stand viel auf dem Spiel damals. „Die Premiere balancierte überm Abgrund des Skandals“, notierte George Tabori. Angeblich hatte er sich sogar ein Fluchtauto vor die Tür des Schillertheaters parken lassen. Aber zum Äußersten kam es nicht. Bloß einige ältere Zuschauer hätten das Lachen der Jüngeren für geschmacklos gehalten, berichtete der Autor und Regisseur über die Deutsche Erstaufführung, was ihn aber nicht wirklich anfocht. „Ja nun, BB hätte gesagt, manchmal muss man sich eben entscheiden, ein Mensch zu sein oder guten Geschmack zu haben.“

Um Geschmacksfragen geht es zentral in George Taboris Stück „Die Kannibalen“, das 1969 in Berlin auch die jüdische Gemeinde in Aufruhr versetzte. Es ist Taboris Vater Cornelius gewidmet, „umgekommen in Auschwitz, ein bescheidener Esser“. Ort der Handlung ist eine Baracke des Todeslagers, wo zwölf hungerleidende Häftlinge mit den Grenzen der Menschlichkeit ringen. Als der dicke Puffi Pinkus beim Mundraub ertappt wird, erschlagen ihn die Übrigen – und beschließen, einen Leichenschmaus im Pisskübel anzurichten. Tabori wühlt tief in den Gedärmen der erbärmlichen Existenz. Er zeigt statt glorifizierter Opfer „eine himmlische und exkrementale Schau“, wie er selbst im Programmheft der Erstaufführung schrieb. Bloß keine falsche Pietät. „Schließlich heißt sacer nicht nur heilig, sondern auch unrein.“

Eine Moritat von den Menschenfressern

Am Berliner Ensemble, Taboris letzter Wirkungsstätte, richtet nun Regisseur Philipp Tiedemann die Moritat von den Menschenfressern ein. Eine schräge, fast leere Spielfläche hat er sich in die Probebühne gebaut, auf die mit Kreide schnell die Kochstelle gezeichnet ist. Axel Werner als Hirschler und Thomas Wittmann als Heltai sind „die Überlebenden“, die Einzigen, die ihre Haut retten konnten. Als KZ-Aufseher Schrekinger (Ursula Höpfner-Tabori) die Schandtat im blubbernden Kessel entdeckt, befiehlt er den Häftlingen, ordentlich zuzulangen. Oder: „Ab in den Duschraum.“ Doch nur Hirschler und Heltai löffeln die Suppe aus. Der Brecht-Satz „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ erhält hier einen selten bitteren Klang.

In der Weigerung, sich zu etwas zwingen zu lassen, „nicht zu essen, obgleich man verhungert“, sah Tabori den menschlichsten und auch gewalttätigsten Akt. Der unverbrüchlichste Humanismus ist in der Figur des Onkels verkörpert (in der Erstaufführung von Michael Degen gespielt, am BE von Martin Seifert), der bis ins Groteske Würde und Höflichkeit hochhält. Dagegen steht einer wie der junge Medizinstudent Klaub (Sabin Tambrea), der radikal pragmatisch verkündet: „Fleisch ist Fleisch und mein Vater im Himmel kann mich am Arsch lecken.“ Taboris Stück – ursprünglich als Roman geplant – formuliert indes keine Anklage und nimmt auch nicht Partei. Vielmehr nähert es sich, als Spiel im Spiel, aus der Perspektive der Söhne mit „kühler Neugier“ dem Geschehen.

Tiedemann inszeniert nicht nur mit Distanz, sondern seltsam sauber und schmerzfrei. Wo bei Tabori die Darsteller sich in hartem Training die Prügelwut angewöhnen mussten, sind hier die weißen Samthandschuhe, die der Onkel trägt, Programm. Selbst wenn die Schauspieler am Ende das Zischen des einströmenden Gases nachahmen, erreicht einen nichts als Stadttheaterton. Ein Stück, das einmal eine Gräte war, die im Halse stecken bleiben musste, wird zum leicht goutierbaren Happen. Vielleicht will Tiedemann genau das zeigen – 45 Jahren später sind wir an den Skandal bis zur Besinnungslosigkeit gewöhnt. Aber das wäre ein gefährliches Spiel.

Wieder am 31. März, 19.30 Uhr, weitere Vorstellungen im April und Mai.

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