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Tägliche Serie, Folge 4: Kulturcheck - ein Londoner testet Berlin, heute: Ampelmännchen und Volksbühne

Das Berlin-Experiment: Der Londoner Journalist Mark Espiner ist zwei Wochen beim Tagesspiegel zu Gast und bespricht online jeden Tag Berliner Kulturereignisse. Diesmal sinniert er über Vergangenheit und Jugend.

Wenn ich durch die Straßen Ihrer Stadt laufe, fällt mir eine Sache auf: Der kleine Mann, der einem mitteilt, wann man an der Ampel gehen darf und wann nicht, hat sich von einem Glatzkopf zu einem Hutträger entpuppt. Das mag für Sie ganz normal sein, für mich ist das ungewöhnlich. Jemand hat mir gesagt, dass die Jungs mit den Hüten aus Ost-Berlin kommen. Ein Relikt der DDR. Lustig, diese milde Erinnerung an die Vergangenheit. Und sie hilft mir, mich selbst einzuordnen und mir vorzustellen, wie es gewesen sein muss, im Osten zu leben, als die Menschen nicht frei waren. Das ist ein subtiler Unterschied zu London - eine sanfte historische Anspielung an der Ampel. Die Mauer ist weg und die grünen Männchen haben die Grenze überschritten.

Muriel schickte mir eine Email und ließ mich wissen, dass die Volksbühne ein absolutes Muss in Berlin sei und dass das Stück "Der Selbstmörder" seine letzte Aufführung hätte. Ich eilte dorthin, nachdem ich schnell einige Gläschen Kölsch, etwas Brot und zwei Landjäger in der Joseph-Roth-Diele, einer wunderbaren kleinen Kneipe in der Potsdamer Straße, genossen hatte.

Theater ohne graue Haare

Die Volksbühne kam mir dann doch ein bisschen deutlicher wie FSU (Former Soviet Union) vor als die Ampelmännchen. Mit seinen  überbordenden Treppen, Leuchtern, Spiegeln und dem leicht gestrigen Dekor sprach das Gebäude mit einem fast altmodischen Akzent zu mir. Im Kontrast dazu war das Publikum extrem jung - Teenager bis Mittzwanziger, die bereit waren über alles zu lachen, was auf der Bühne geschah. Ich war überrascht. Ich kann mir kein ähnliches Theater in London vorstellen - oder eines das ein solches Publikum anzöge. In London gibt es eine kleine Krise, denn das Theater zieht nur die Mittelklasse und ältere Leute an. Natürlich sind da Ausnahmen, aber im Allgemeinen stimmt das so. Aber hier war ich in einem Theater voller Menschen ohne graue Haare.

Ich wünschte mir, ich könnte von mir sagen, dass ich das Stück verstanden hätte. Habe ich nicht. Aber es war ein Spektakel. An einer Stelle marschierte das ganze Ensemble (ein gigantischer Chor) ins Publikum ein und krabbelte über die Sitze. Ein Schauspieler hielt per Megafon eine Rede von hinten aus dem Theatersaal. Es war verblüffend und aufregend - aber auch ein bisschen irritierend für mich mit meinen geringen Deutschkenntnissen.

Blut und solche Sachen

Der Taxifahrer, der mich zur Volksbühne brachte, sagte mir, dass die Volksbühne sehr populär bei den Kids sei. Sie (jawohl, sie - hier kommt der nächste Unterschied, man sieht nur wenige Taxifahrerinnen in London) sagte, dass einige der Shows echter "Splatter" seien. Ich glaube, sie meinte Horror mit Blut und solchen Sachen. Sie sagte mir dann noch, wie sehr Mitte sich verändert habe und empfahl mir einen Besuch im Tacheles, einem alten besetzten Haus. Ist das wirklich einen Besuch wert? Bitte schicken Sie mir Emails dazu (mark@espiner.com) oder schreiben Sie doch einfach Ihren Kommentar unter diesen Text.

Noch einmal Danke für all die Tipps. Meine To-Do-Liste wächst und wächst. Dank Ihrer Vorschläge steht darauf unter anderem ein Trip zum Blutwurstmacher am Karl-Marx-Platz in Neukölln. Wir sehen uns morgen!

Aus dem Englischen übersetzt von Markus Hesselmann.

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