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Kultur: Tänzer im Hamsterrad

Peter Welz’ Kunst ist auf dem Art Forum und im Hamburger Bahnhof zu sehen. Heute erhält er den Gasag-Förderpreis. Ein Atelierbesuch

Mit dem Erfolg kommen die Probleme. Probleme, die andere Künstler gerne hätten. Zum Beispiel große Ausstellungsräume. Peter Welz arbeitet inzwischen für so große Institutionen wie den Louvre, die Chicagoer Renaissance Society oder das Foyer der Berliner Messehallen, dass ihm sein Atelier zu klein wird. Noch teilt er sich mit einem anderen Bildhauer die lichte Fabriketage im gelben Backsteinhaus, versteckt in einem idyllischen Prenzlauer-Berg-Hinterhof. Eigentlich recht geräumig, und er mag es auch hier. Doch das immer klobigere Material in den dritten Stock zu schleppen: schwierig.

Für ein künftiges Werk hat der Künstler Transportpaletten hochgetragen. Das Modell eines Louvre-Seitenflügels steht daneben. Überall hängen Grundrisse, Entwürfe, Skizzen. Dazwischen Bilder vom Star-Choreografen William Forsythe, Welz nennt ihn „Bill“. Jetzt steht der Künstler zwischen all seinem Kram, zwischen realisierten Projekten und Plänen für Künftiges. Weiß nicht, wo anfangen. Wie erklärt man eine Arbeit, in der es mit einigem Materialaufwand letztlich um das Verschwinden geht?

„Ich interessiere mich für die Präsenz eines Objekts im Raum.“ Ein guter Anfang, ein einfacher Satz. So einfach, dass er beinah bedeutungslos bleibt. Der 1972 in Schwaben geborene Künstler hat in London, New York und Dublin Bildhauerei studiert. „Doch nie habe ich auf Steinen rumgepickt“, sagt er. Nein, Bildhauerei sollte man weiter fassen: Ein Objekt im Raum, das ist das Wesentliche. Peter Welz’ erste Objekte waren Betonmenschen, die wie Osterinsel-Idole dastanden und aus Lautsprechern flüsterten. Dann hauchte er seinen Geschöpfen Leben ein: Von der Decke hängende Torsi bewegten sich in kleinen, architektonischen Szenarien hin und her, Schaumstoffbüsten, in einer Reihe aufgestellt, schüttelten stur die Köpfe, nein, nein, siebenmal nein.

Bald aber entdeckte der Bildhauer die Kamera für sich – und seine Figuren lernten den freien Fall. Nun arbeitet er oft mit Tänzern zusammen, filmt sie aus mehreren Perspektiven und projiziert das Ergebnis auf einfache wie komplexe Raumsituationen. Er ließ Sasha Waltz’ Tänzer eine Wilhelm-Lehmbruck-Skulptur nachahmend, auf eine Glasplatte stürzen und nahm sie von unten auf. Welz kippte den fertigen Film und warf ihn an die Wand und auf den Boden. Nun fielen die Körper aufwärts, dem Betrachter entgegen.

Auch das Welz-Werk stürzt. Von einem Medium ins andere, übersetzt eine Kunstgattung in die nächste: von der Dichtung zum Tanz, vom Tanz zum Film, vom Film zur Skulptur. „Wichtig sind mir die Fehler und Ungenauigkeiten bei solchen Clashs.“ Dabei arbeitet er weiterhin peinlich sorgsam. Man erkennt das an den Entwürfen, die hier in seinem Atelier hängen. Doch Übersetzungen verwischen Feinheiten, etwas geht verloren, lost in translation, bevor Neues entsteht, neue Bedeutungen, neue Spuren.

In seiner bislang wichtigsten Videoskulptur bat er Forsythe, der irgendwann auf eine Welz-Arbeit aufmerksam wurde und schnell zur Zusammenarbeit zu überreden war, den leicht abgewandelten Samuel-Beckett-Satz „Whenever on on on nohow on“ in Bewegungen zu übertragen. Beckett experimentierte hier mit grammatikalischen Fehlern. Nun war es an dem Ballettmeister, Fehler zu machen. Ausgestattet mit Kameras an den Handgelenken, von drei Seiten gefilmt, bewegte Forsythe sich zu den Buchstaben, zum Rhythmus des Satzes, setzte Punkte, zog Verbindungen, „schrieb den Satz in den Raum ein“, wie Welz sagt.

Mit den gewonnenen Bewegungsstudien arbeitete der Bildhauer nun weiter, warf die Bilder auf immer wieder in neue Zusammenhänge installierte Leinwände, ließ Forsythes Abbild auf gekrümmten Holzbögen tanzen, die aussehen wie rostfreie Richard-Serra-Skulpturen. Welz zeichnete die Bewegungen der linken Hand des Choreografen nach und besitzt nun nicht allein eine Notation des Tanzes, sondern auch eine Art Rückübersetzung des Beckett-Satzes. So verflüchtigt sich das Objekt im Raum, indem er es in Zeichen verwandelt. Körper wird Figur. Da ist der Bildhauer in seinem Element.

Für den Skulpturensaal im Louvre nahm der Künstler mit den raspelkurzen Haaren eine Malerei von Francis Bacon als Ausgangssituation. Solche buchstäblichen Vorbilder sind ihm wichtig. Ständig fallen im Gespräch mit ihm große Namen: Forsythe, Beckett, Rudolph von Laban, der Erfinder der weltweit wichtigsten Tanzschrift, Lehmbruck oder Alberto Giacometti. Und eben Bacon. Als der Maler 1992 verstarb, stand in seinem chaotischen Atelier ein unfertiges Porträt. Forsythe überträgt die Linien in Bewegungen, rekonstruiert den Bildaufbau im Raum und zeichnet mit an seinem Körper befestigtem Graphit neue Spuren auf Papierbahnen. Im Louvre wird im Oktober das Bacon-Original, Forsythes Tanz und die Übersetzung auf Papier zu sehen sein.

Peter Welz, der zurzeit von keiner festen Galerie vertreten wird, freut sich, dass er immer häufiger eingeladen wird, seine Arbeiten zu zeigen. Er kennt durchaus schlechtere Zeiten, in denen er nicht wusste, wovon er leben sollte. Die Einladungen bedeuten aber vor allem: neue Räume, die leer sind und gefüllt werden wollen.

Nun erhält er den Gasag-Förderpreis auf dem Art Forum. Im Kleinen Stern zeigt er einen Tänzer, den er auf der Drehbühne der Komischen Oper gefilmt hat. Der Tänzer liegt auf der Seite, bewegt seine Beine, schiebt seinen Körper, als laufe er gegen die Bewegung der Bühne an. Das sieht in der Draufsicht aus, als bewege er sich in einem Hamsterrad. Fährt die Kamera mit, geht die Figur auf der Stelle. Ein Bild für die Vergeblichkeit? Eher nicht. Dem mit reichlich schöpferischem Optimismus ausgestatteten Welz geht es wieder allein um die Bewegung – und ihre Auflösung im Stillstand.

Beim Verlassen des Ateliers fällt der Blick auf Klebestreifen, die eine Fläche auf dem Boden eingrenzen. Die Größe von Giacomettis Atelier in Paris, erklärt Peter Welz. Er hätte einfach bei den jetzigen Bewohnern geklingelt und das Zimmer abgemessen, in dem der bewunderte Plastiker einst gearbeitet hat. 5,20 mal 4,80 Meter. Es geht also: auf kleinem Raum Großes schaffen.

Peter Welz erhält heute den Gasag-Förderpreis in der Talklounge des Art Forums. Im Kleinen Stern in den Messehallen ist Welz’ Raum-Video-Installation zu sehen. Außerdem ist er im Hamburger Bahnhof bei „Jenseits des Kinos: Die Kunst der Projektion“ vertreten.

Daniel Völzke

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