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Blick in die Druckwerstatt im Kulturwerk des bbk berlin.

© Kulturwerk des bbk berlin, Foto: Martin Zellerhoff

Tag der Druckkunst 2021: Die größte Werkstatt der Welt

Gesiebt, geätzt, geritzt: Die Druckkunst ist eine demokratische Technik. Im digitalen Zeitalter fasziniert sie aufs Neue – besonders auch in Berlin.

Berlin ist die Stadt der digitalen Kunst und des Kupferstichs. Das eine schließt das andere nicht aus, ja die Arbeit mit den Daten und die Sehnsucht nach dem Handwerk verstärken sich sogar gegenseitig. Wo man in Sekundenschnelle jedes Detail eines Bildes manipulieren kann, wünscht man sich umso mehr die Handarbeit zurück.

Stein, Zink, Hölzer, Säure, Farbe, Sieb, Wasser, Papier, unzählige Arbeitsschritte und ein Ergebnis, das stets eine Überraschung bleibt – kaum ein Metier ist so körperlich, so kompliziert aber auch so vielfältig wie die Druckgrafik.

Am 15. März 2018 wurden die traditionellen Drucktechniken Flachdruck, Hochdruck, Lithografie und Durchdruck in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen Unesco-Kommission aufgenommen. Seitdem wird die DruckkKunst einmal pro Jahr gefeiert. Auf die Kupferplatte zu ritzen, wie es Rembrandt und Goya im 17. und 18. Jahrhundert taten, hat auch heute noch seinen Reiz.

Zum ersten Mal Kunst für viele

Die Druckgrafik gilt als eine der ältesten Kunstarten Europas. Sie besticht durch ihre großen Gestaltungsmöglichkeiten – und vor allem als Mittel der Vervielfältigung. Kupferstiche und Radierungen waren in vorindustrieller Zeit eine Möglichkeit, Bilder, Botschaften und Kunst zu verbreiten.

Um Reproduktion oder Auflage geht es in der digitalen Ära nicht mehr. Der traditionelle Druck wird fast nur noch künstlerisch genutzt, dafür wird die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten gerade wiederentdeckt, auch in Berlin.

Die Druckwerkstatt des Berufsverbands Bildender Künstler*innen Berlin (bbk berlin) ist die umfangreichste künstlerische Druckwerkstatt weltweit, zumindest im nicht-kommerziellen Bereich. Sie existiert seit 1955, zog 1973 ins Kunstquartier Bethanien am Mariannenplatz.

Eine Kombination aus Hochdruck (Ute Faber), Siebdruck (Gerd Logemann) und Lithografie (Friedericke Linssen), entstanden im Druckkunstprojekt „Kreisläufe“.
Eine Kombination aus Hochdruck (Ute Faber), Siebdruck (Gerd Logemann) und Lithografie (Friedericke Linssen), entstanden im Druckkunstprojekt „Kreisläufe“.

© Martin Zellerhoff

Wer hier durch die Archive blättert – viele Künstler hinterlassen einen Original-Druck für die Sammlung der Werkstatt – entdeckt ein Stück Nachkriegs- Kunstgeschichte: Elvira Bach, A.R. Penck, K.H. Hödicke, Wolfgang Petrick und viele andere haben hier gedruckt. Hochdruck, Flachdruck, Radierung, Lithographie, Siebdruck, alles ist möglich.

Für jede Technik gibt es einen Spezialisten, der die Pressen kennt. Es gibt eine Buchbinderei und eine Papierwerkstatt, in der sogar der Vatikan bestellt. Wenn einmal im Quartal die Termine vergeben werden, stehen Künstler aus Berlin und anderswo schon morgens in der Schlange, um einen der begehrten Werkstatttermine zu ergattern.

Mariannenplatz: Die umfangreichste Kunstdruckerei der Welt

Zwei von ihnen sind die Berliner Künstlerinnen Claudia Hartwig und Viola Bendzko. Claudia Hartwig, spezialisiert auf Hochdruck und Viola Bendzko mit Spezialgebiet Siebdruck, haben hier für den Verein Berliner Künstler (VBK) ihr Grafikprojekt „Kreisläufe“ realisiert, ein kollaboratives Druckprojekt.

Das heißt: Ein Künstler beginnt zum Beispiel mit einem Holzschnitt, ein zweiter übernimmt und druckt mit einer anderen Methode auf dasselbe Blatt. Und eventuell ein weiterer mit einer dritten Technik.

Künstlerin Heehyun Jeong beim Anfertigen eines Kombinationsdrucks in der Druckwerkstatt des bbk berlin.
Künstlerin Heehyun Jeong beim Anfertigen eines Kombinationsdrucks in der Druckwerkstatt des bbk berlin.

© Promo

Das ist nicht nur ein künstlerischer Dialog, sondern auch eine Übung im Loslassen und Vertrauen. Künstler sind Individualisten, keiner gibt normalerweise leichtfertig ein gutes Blatt aus der Hand, schon gar nicht, wenn jemand anderes dann die Kontrolle übernimmt. Aber genau diese Offenheit war hier gefragt. „Es war ein dynamischer Prozess mit allen Höhen und Tiefen, mit vielen Überraschungen, Leidenschaft, Spielfreude, Scheitern“, sagt Claudia Hartwig.

Angefangene Drucke wurden in einen Planschrank gelegt. Dort gingen alle siebzehn Teilnehmenden regelmäßig vorbei, nahmen sich ein Blatt mit, ergänzten es und legten es wieder zurück. Jeder musste sich selbst fragen: Wie viel Raum nehme ich mir, wieviel überlasse ich anderen? Was gebe ich vor?

Kreisläufe: Mehrere Künstler arbeiten an einem Druck

Hartwig zeigt die Holzplatten, in die sie ihre floralen Muster geschnitzt hat, eine Platte für jede Farbe, gelb, grün, orange. Die schwere, alte Radierpresse in der Druckwerkstatt des bbk berlin ist eine der größten, die es in Europa gibt. 1,60 mal 1,20 Meter messen Hartwigs Papiere, die sie in dem Format nur hier bedrucken kann.

Kombinationsdruck „Wolkenmaschine“: Radierung (Wilfried Habrich) auf Lithographie (Catherine Bourdon), entstanden im Projekt „Kreisläufe“
Kombinationsdruck „Wolkenmaschine“: Radierung (Wilfried Habrich) auf Lithographie (Catherine Bourdon), entstanden im Projekt „Kreisläufe“

© Martin Zellerhoff

Ihr mehrfarbiger Holzdruck sieht aus wie ein Dschungel in leuchtenden Farben und wirkt wie ein fertiges Werk. In dem Fall ist das Risiko groß. Künstlerin Heehyun Jeong hat es trotzdem geschafft, den Blumengarten mit einer Radierung zu ergänzen. Ihre filigranen Motive sehen wie Baumringe aus, ein Naturmotiv, das sie schon lange begleitet.

„Es ist leichter ein Bild zu beginnen. Ein Bild fertig zu machen, ist eine große Verantwortung“, sagt die Künstlerin später am Telefon. Die gebürtige Südkoreanerin studierte in Seoul und in Braunschweig, wo sie anfing in der Radierwerkstatt zu experimentieren.

Blick in die Druckwerkstatt des bbk berlin, hier: Siebdruck.
Blick in die Druckwerkstatt des bbk berlin, hier: Siebdruck.

© Kulturwerk des bbk berlin, Foto: Martin Zellerhoff

Das Zeichnen auf der Zinkplatte bot Möglichkeiten, die sie in der Malerei nicht fand. „Man kann sehr feine Linien zeichnen, sich korrigieren, etwas wiederholen, im Notfall die Platte schneiden“, erzählt Heehyun Jeong. In der Malerei ist ein falscher Strich schwer zu korrigieren.

Drucken braucht extrem viel Übung

Und manches ging schief. Hartwig hält ein paar Fehldrucke in die Luft. Manchmal lag das Missgeschick allein darin, dass jemand auf einen Siebdruck einen weiteren Siebdruck setzte. Dieselbe Technik zu verwenden, war allerdings gegen die Regeln. Ein anderes Mal konnte das Papier, das für den Hochdruck genutzt worden war, für die Lithografie nicht ausreichend gewässert werden. Bei manchem Siebdruck saß die Schablone nicht.

Doch auch diese Erfahrungen gehören zum künstlerischen Prozess, zumal beim Drucken, das sehr viel Übung erfordert.

Jede Drucktechnik hat ihre speziellen Eigenheiten und Möglichkeiten. Die meisten Künstler beherrschen nur eine Technik gut. Einer, der sie alle kennt, ist Niels Borch Jensen.

Holzschnitt aus der Serie „Adidas Boy“ des Künstlers Tal R.
Holzschnitt aus der Serie „Adidas Boy“ des Künstlers Tal R.

© the artist, courtesy BORCH Gallery & Editions, Copenhagen/Berlin

Es gibt in Berlin sehr viele Künstler:innen, die schon mit ihm gearbeitet haben. Die britische Film- und Fotokünstlerin Tacita Dean, der für seine naturwissenschaftlich-verspielten Installationen bekannte Carsten Höller, Lichtkünstler Olafur Eliasson, das Duo Elmgreen und Dragset, Maler und Bildhauer wie Tal R und Thomas Scheibitz.

Viele von ihnen hatten keine Ahnung vom Drucken bevor sie Jensen begegneten. Bei einigen wurde es zu einem prägenden Bestandteil ihrer Arbeit. Die Neulinge seien ihm liebsten, sagt Jensen am Telefon. Seine Mission ist es, Künstler für das Druckhandwerk zu begeistern.

Zunächst haben die Pop-Art-Künstler die Druckkunst wiederentdeckt

Bereits als junger Mann bewundert er die Grafiken Goyas und hat eine Druckerpresse in seinem Zimmer. 1971 beginnt Jensen als Drucker in Dänemark, geht später nach Amerika und taucht dort in die „Maker“-Szene ein. Er bekommt noch die Idee der Workshops mit, in denen berühmte Lithographen mit Pop-Art- Künstlern wie Jasper Johns oder Robert Rauschenberg zusammenarbeiteten und für ein Revival der Druckkunst sorgten.

Eine solche Werkstatt mit höchster Kompetenz und maximalem Service für Künstler etablierte Jensen schließlich auch in Europa, er gründet ein Atelier für Druckgrafik in seiner Heimatstadt Kopenhagen. 1999 eröffnete er eine Dependance im Nachwende-Berlin.

Licht auf Papier. Druckprozess von Julie Mehretus First Seal (R 6:1) bei BORCH Editions in Kopenhagen. Die Fotogravüre-Serie „Slouching towards Bethlehem“ ist bald in Berlin zu sehen.
Licht auf Papier. Druckprozess von Julie Mehretus First Seal (R 6:1) bei BORCH Editions in Kopenhagen. Die Fotogravüre-Serie „Slouching towards Bethlehem“ ist bald in Berlin zu sehen.

© Courtesy BORCH Gallery & Editions, Copenhagen/Berlin

Der Raum in der Naunynstraße hilft ihm, der wachsenden Berliner Künstlerschar zu zeigen, was man mit Zinkplatte und Ätz-Tinktur alles machen kann. 2007 schließt Jensen die Berliner Werkstatt, behält aber die Editionsgalerie, die mittlerweile in Charlottenburg residiert. Im Gegensatz zu den 2000er Jahren, in denen alle mit Digitaltechniken experimentierten, kommen die Künstler inzwischen freiwillig nach Kopenhagen.

Jensen führt dort eine große Werkstatt unter anderem mit drei antiken Kupferdruckpressen aus Leipzig und viel Know-how. Er beschäftigte mehrere erfahrene Druckmeister. Georg Baselitz lässt dort seine klassischen Radierungen und Holzschnitte drucken.

Möchte fürs Drucken begeistern: Niels Borch Jensen

Die US-amerikanische Künstlerin Julie Mehretu, eine der wichtigsten Malerinnen ihrer Generation, hat jüngst eine Serie von vier großformatigen Photogravüren fertiggestellt. Kombiniert mit einer Aquatina-Radierung wurden ihre abstrakten Motive zu einem leuchtendfarbigen Spiel mit Licht und Schatten.

[Ausstellungen: 15. 3. bis 28. 3., „Kreisläufe“, VBK, Schöneberger Ufer 57, Sonderöffnungszeiten am Mo 15. 3., 12-22 Uhr, Info: vbk-art.de. / Bis 17. 4., Tal R, Borch Gallery, Goethestr. 78, Charlottenburg, borcheditions.com]

Auch die in Berlin lebende Tacita Dean druckt seit Jahren bei Jensen. Ihre neueste Arbeit ist eine siebenteilige Farbfotogravüre vom Berg „Quarantania“, an dem Jesus 40 Tage lang gefastet haben soll. Sie basiert auf einem alten Fotoabzug, den die Künstlerin fand und der im Druck von einer Polymerplatte einen faszinierenden Detailreichtum entfaltet.

Der Maler Tal R fertigte die Holzschnitt-Serie „Adidas Boy“, mit der er sein Formenrepertoire aus Tieren und Menschen, das er sonst in der Malerei und in Skulpturen umsetzt, neu durchspielt. Der Druck hält immer eine Überraschung bereit, das macht seine Faszination aus.

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