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Pedro Almodovar und Tilda Swinton posieren für die Fotografen in Venedig.

© Reuters/Yara Nardi

Tagebuch von den Filmfestspielen Venedig (1): Karneval mit Tilda

Erster Tag: Perfektes Corona-Kino von Pedro Almodovar, Nicola Garcias Film Noir und Jasmila Zbanics Erinnerung an das Massaker von Srebrenica.

Von Andreas Busche

Ein Witz, der anfängt mit „Kommt Tilda Swinton in ein Geschäft und kauft sich eine Axt“, kann eigentlich nur mit einer guten Pointe enden. Erst recht, wenn Pedro Almodóvar ihn erzählt. Es ist natürlich kein normaler Baumarkt, den Swinton in „The Human Voice“ betritt, die ausgestellte Ware erinnert eher an eine Manufaktum-Filiale, der Verkäufer trägt einen schwarzen Anzug. Doch das „wie“ ist bei Swintons Performances ohnehin ja meist aussagekräftiger als das „was“.

Der halbstündige Film, eine Adaption des gleichnamigen Bühnenstücks von Jean Cocteau, ist die erste Zusammenarbeit von Swinton und Almodóvar; verrückt, wenn man drüber nachdenkt. Aber der Film kommt gerade rechtzeitig, um über die Kino-Durststrecke hinwegzutrösten. „The Human Voice“ ist perfektes Corona-Kino. Ein Monodrama, das Tilda Swinton in allen erdenklichen emotionalen Schwundstufen zeigt, isoliert in der Wohnung, die sie mit ihren ehemaligen Liebhaber teilte (ein primärfabener Designer-Traum in Theaterkulissen): von stolz bis verletzt, von hoch kontrolliert bis am Rande des Nervenzusammenbruchs – bekanntlich eine Spezialität Almodóvars. Swinton redet ohne Pause ins Telefon (die Stimme des Ex bleibt ungehört) und mit jeder Minute entblößt sie eine weitere Nuance ihrer Seelenqual. Am Ende steht die Welt in Flammen.

Ihren ersten großen Auftritt in Venedig hat Tilda Swinton bereits am Mittwochabend auf der Eröffnungsgala, wo sie neben der chinesischen Regisseurin Ann Hui für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird. Über den roten Teppich schreitet sie in einem schwarz-weißen Chanel-Kostüm, vor ihr Gesicht hält sie sich eine goldene Maske, ein Accessoire zwischen „Karneval in Venedig“ und Hannibal Lecter. Später, als ihr Cate Blanchett den Goldlöwen überreicht, hält sie eine leidenschaftliche Rede auf die Heimat tief in ihrem Herzen: „Das Kino ist mein Mutterland.“ Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger nennt sie „Älteste ihres Stammes“.

Dass am ersten Festivaltag zwei Filme von Regisseurinnen im Wettbewerb laufen, sollte eigentlich keine Erwähnung wert sein, es wird aber anerkennend zur Kenntnis genommen. Während Nicole Garcia sich mit „Amants“ in den sicheren Gefilden des Film Noir bewegt, wagt sich die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanic mit „Quo Vadis, Aida“ an ein Trauma heran: das Massaker von Srebrenica.

Die Lehrerin Aida (Jasna Ðuricic) arbeite im Juli 1995 als Dolmetscherin für die Blauhelme. Während ihr Mann am Verhandlungstisch mit Ratko Mladic sitzt, mobilisiert Aida letzte Kräfte, um ihre Familie in Sicherheit zu bringen, als die serbischen Truppen den UN-Stützpunkt übernehmen. Žbanic heftet sich an Ðuricic’ Fersen. Aida entwickelt mit zunehmender Gewissheit des drohenden Genozids einen stoischen Überlebenswillen, der auch ein kraftvolles Actiondrama abgibt. Die Kamera kommt kaum zur Ruhe. Wie minutiös Žbanic dabei vorgeht, lenkt von der Tragödie ab. Aber vielleicht muss Traumabewältigung manchmal einfach auch den Schmerz kurz vergessen machen.

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