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Luisa (Mala Emde) kämpft in "Und morgen die ganze Welt" im schwarzen Block gegen Nazis und die Polizei.

© Oliver Wolff

Tagebuch von den Filmfestspielen Venedig (8): Deutsches Kino gegen Rechts

Julia von Heinz schlägt sich im Wettbewerbsfilm "Und morgen die ganze Welt" auf die Seite der Antifa. Die Frage ist nur: Farbeier oder Straßenkampf?

Von Andreas Busche

Vergangenes Wochenende sorgte ein Gast auf dem roten Teppich für ambivalente Gefühle. Italiens ehemaliger Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega Nord hatte auf den Lido übergesetzt, um der Premiere des Löwen-Kandidaten „Padrenostro“ über die bleiernen siebziger Jahre in Italien beizuwohnen.

Von Salvini weiß man inzwischen, dass er jede noch so unvorteilhafte Gelegenheit für ein Foto nutzt, seine Auftritte sind eine Provokation. Gerade läuft gegen ihn ein Prozess wegen seiner Flüchtlingspolitik.

Auf dem roten Teppich wurde er mit Buhrufen empfangen, vereinzelt soll es Applaus gegeben haben. Im Palazzo war die Stimmung unterkühlt, Hauptdarsteller Pierfrancesco Favino bemühte sich schnell klarzustellen, dass niemand Salvini eingeladen habe. Venedig hat dieses Jahr strenge Covid-Regeln, aber ein Protokoll für unliebsame Politiker gibt es nicht.

"Alle Deutschen haben das Recht zum Widerstand"

Wie man mit der wiedererstarkten Rechten umgehen soll, wird in Deutschland schon seit Jahren diskutiert. Die Befürchtung, dass ein Dialog mit dem sogenannten bürgerlichen Lager (auch in der Kulturszene) undemokratischen, rassistischen Positionen Öffentlichkeit verschafft, hat sich immer wieder bewahrheitet. Also reden – oder doch aufs Maul hauen?

So etwa sieht der Konflikt in Julia von Heinz’ „Und morgen die ganze Welt“ aus (eine Zeile aus dem Lied der nationalsozialistischen Arbeiterfront), der am Donnerstag in Venedig seine Weltpremiere hatte.

Luisa (Mala Emde) studiert Jura und hat eine sehr dezidierte Auslegung der deutschen Verfassung. Der Artikel 20 des Grundgesetzes rahmt von Heinz’ Film: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Regisseurin Julia von Heinz.
Regisseurin Julia von Heinz.

© Seven Elephants

Sie schließt sich der Antifa an, die politische Einstellung ihres Elternhauses („veralteter Landadel“, meint einer ihrer neuen Freunden abfällig) ist da eher pragmatischer Natur. „Wer mit dreißig nie links war, hat kein Herz“, sagt der Vater nach der Fuchsjagd, „wer über dreißig immer noch links ist, keinen Verstand.“ Luisa muss sich entscheiden: zwischen Farbeier werfen mit Freundin Bette (Luisa-Céline Gaffron) oder Straßenkampf mit dem Möchtegern-Baader Alfa (Noah Saavedra). Hausbesetzer-Idyll oder bewaffneter Widerstand.

Aufarbeitung der eigenen linken Sozialisation

Von Heinz landete dieses Jahr unverhofft in Venedig, niemand hatte die Regisseurin des Hape-Kerkeling-Films „Ich bin dann mal weg“ als Kandidatin für ein A-Festival auf dem Schirm. Aber das Thema beschäftigt natürlich auch Italien (siehe Salvini), ohnehin scheint man im Ausland eine klare Vorstellung vom Prestige des deutschen Films zu haben. Schon in Cannes gewann Fatih Akins NSU-Film „Aus dem Nichts“.

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Von Heinz ist „Und morgen die ganze Welt“ aus zwei persönlichen Gründen wichtig: Sie will sich mit dem Film aus den behäbigen Gravitationskräften des deutschen Kommerzkinos befreien und arbeitet gleichzeitig ihre eigene linke Sozialisation auf. Wie viel ihr daran liegt, macht der Film mit Verve spürbar, nicht immer zu seinem Vorteil.

Aufruf zum bewaffneten Kampf

Von Heinz und ihr Partner John Quester verlagern die Konflikte meist in die Dialoge (Uni, Antifa-Plenum). Der Radikalität ihrer politischen Ansichten fehlen die entsprechenden Bilder, auch wenn „Und morgen die ganze Welt“ mit der Entdeckung eines altgedienten Nazi-Kaders noch in den Actionmodus schaltet. Wann hat zuletzt ein Film in Venedig schon zum bewaffneten Kampf aufgerufen? Gillo Pontecorvo 1966 mit „Schlacht von Algier“?

Perspektive bekommt der Film in den Szenen mit Andreas Lust. Dietmar hat sich nach einer Karriere bei den Roten Zellen mit Dosenravioli in der hessischen Provinz eingerichtet, fast zärtlich beobachtet er das revolutionäre Pathos von Luisa und Alfa. „Ameisenkrieg“ nennt er das Nazi-Klatschen, früher hätten sie Konzerne attackiert.

Aber in der Rückschau ist sein Blick auf ihren Radikalismus auch ein wenig unverhältnismäßig. Ebenso wie die Tatsache, dass sich Julia von Heinz im Rampenlicht des Wettbewerbs behaupten muss. In Berlin würde man „Und morgen die ganze Welt“ schützender positionieren. Er hätte es verdient.

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