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Hauptstadtkultur im Wandel: Christian Tretbar, Peter Raue, Ruth Ur und Till Brönner (von links nach rechts).

© Lena Ganssmann

Tagesspiegel-Hauptstadtgespräch über Berlins Kultur: Die Sehnsucht nach dem nächsten großen Ding

Nostalgie und neue Perspektiven: Die Berliner Kulturszene sucht nach einem Ausweg aus der gegenwärtigen Krise. Könnte ein Megaevent wie Olympia helfen?

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Was ist los mit der Kultur in Berlin? Man kann die Frage auch anders stellen: Wohin entwickelt sich diese Stadt? Denn Berlin und seine Kulturszene bilden eine Schicksalsgemeinschaft, kaum eine Metropole weltweit hält da mit und gibt so viel Geld aus für Kunst und Kultur, trotz erheblicher Kürzungen ist es immer noch knapp eine Milliarde Euro pro Jahr. Hier entsteht Identität und auch erhebliche Wertschöpfung durch Tourismus. Doch in letzter Zeit ändert sich das Bild, die Stimmung trübt sich ein.

Ist das gewisse Etwas abhandengekommen, verliert Berlin international an Bedeutung? Das Tagesspiegel-Hauptstadtgespräch in den Kammerspielen des Deutschen Theaters drehte sich um diese neuralgischen Punkte. Und das betrifft viele aktuelle Themen des Kulturbetriebs und weist darüber hinaus, wie sich im Laufe des Abends, moderiert von Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar und der stellvertretenden Chefredakteurin Anke Myrrhe, immer wieder gezeigt hat. Berlin, so scheint es, sucht sich selbst.

Berlin bleibt cool

Dabei ist es in Mode gekommen, Berlin zu bashen – in Berlin. Was Diandra Donecker, Geschäftsführerin des Auktionshauses Villa Grisebach, gar nicht cool findet. Für sie ist Berlin immer noch anziehend, die Stadt habe auch gelernt, sich immer wieder aufzurappeln, das liege in ihrer Geschichte. Allerdings fehlten Berlin derzeit Stolz und auch Mut. Das zog sich durch die facettenreiche und keineswegs larmoyante Diskussion, da war sich das Podium einig: So vieles ist vorhanden, noch viel mehr wäre möglich, „aber es glänzt nicht“, wie es Kunstliebhaber und -förderer Peter Raue, der Anwalt der Berliner Kultur, formuliert.

Mehr Pragmatismus: Diandra Donecker (rechts) und Christian Tretbar.

© Lena Ganssmanne

Raues Name ist verbunden mit der legendären MoMA-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie anno 2004. Auch für Christos Reichstagsverhüllung im Jahr 1995 hat er sich eingesetzt. Das waren die großen Jahre, im Sog von Maueröffnung und Wiedervereinigung. Zu nennen ist hier dann auch die Love Parade. Groß erscheint die Sehnsucht nach einer neuen Erzählung, nach dem nächsten Mega-Impuls. Ebenso groß aber ist die Skepsis, was eine Bewerbung für Olympia angeht. Oder wenigstens für die Expo. Oder warum nicht beides?

Da gehen auch bei den Podiumsteilnehmern die Meinungen auseinander. Ruth Ur, Direktorin der Stiftung Exilmuseum, kann sich Olympia in Berlin nicht vorstellen. Dafür sei nicht die Zeit, wir leben in prekären Zeiten, sagt die aus London stammende Kuratorin. Sie zieht bildungspolitische Arbeit für junge Menschen vor.

Raue fände einen Befreiungsschlag wie Olympia wichtig, dann könnten sich auch andere liegen gebliebene Projekte in der Stadt wie der Zukunftscampus Tegel oder das ICC realisieren lassen. Aber Raue fürchtet, dass Berlin es nicht schafft, der Olympia-Zug sei abgefahren, in Richtung München.

Wo sind die Türöffner?

Es geht hin und her, wenn man über die Berliner Kultur spricht. Im Ausland, sagt der Jazzmusiker Till Brönner, sei Berlin immer noch „great“. Allerdings unverdient. Brönner vermisst hier die Visionen und die Initiative, auch einmal vorzupreschen und etwas zu riskieren. Das Projekt House of Jazz, für das er sich einsetzt, wartet schon zwölf Jahre auf den Start. Aber Brönner bleibt überraschend zuversichtlich, dass man es doch noch eines Tages schafft.

Ideen versanden, die Erinnerung an vergangene Zeiten überwiegt oft das Gegenwärtige. Peter Raue verweist auf die Corona-Pandemie mit ihren Auswirkungen auf die Kultur – und auf die scharfen Einschnitte im Kulturetat: Das sei eine „Todsünde“. Neue Perspektiven?

Für mehr Pragmatismus plädieren Diandra Donecker und Ruth Ur. Die Institutionen der Kultur müssen enger zusammenarbeiten, gemeinsame Veranstaltungen entwickeln, wie es zum Beispiel die Neue Nationalgalerie mit Klaus Biesenbach vormacht. „Türöffner“ werden gebraucht. Denn auch das muss die Kultur bewegen. Sie braucht Durchlässigkeit, junge Menschen müssen angesprochen werden. Brönner fordert Exzellenz, zugleich aber auch populäre Programme. Und die politische Klasse sollte hier präsent sein.

Das ursprünglich geplante Hauptstadt-Gespräch mit Kulturstaatsminister Wolfram Weimer wird nachgeholt, sagte Christian Tretbar. Weimer musste sehr kurzfristig wegen politischer Termine absagen.

Umso mehr war den Gästen auf dem Podium zu danken. Das Thema Berlin und Kultur bewegt, aus dem Publikum kamen viele Anregungen, es ist eine Zukunftsfrage.

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