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Hommage an einen ikonischen Bau. Das Kulturzentrum soll in der Kubatur des alten Gebäudes von Hayati Tabanlaozlu entstehen. Im Zentrum der Zuschauersaal in Form einer Halbkugel. Die Fassade war früher aus Aluminium, jetzt wird sie transparent.

© Tabanlioglu Architects

Taksim-Platz: Große Oper für Istanbul

Das legendäre Atatürk-Kulturzentrum am Taksim-Platz ist weg. Nun plant der Sohn des Architekten es neu. Eine Begegnung mit Murat Tabanlıoğlu.

Ein neues Kulturzentrum? Hat das Land keine drängenderen Probleme? Stürzt die Lira nicht gerade ins Bodenlose, bricht die Wirtschaft nicht zusammen? Und die demokratische Gewaltenteilung auch, seit Präsident Erdoğan das Parlament teilentmachtet und das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft hat? Die Türkei ist ein Land im Stresstest. Da erzählen auch Architekturprojekte einiges über die gegenwärtige Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die schnell baut und schnell abreißt. Das gilt für die ungeplant entstandenen Gecekondu-Siedlungen im Osten Istanbuls genauso wie für Prestigeprojekte, die den Namen des Staatsgründers tragen.

Das in den 60er Jahren errichtete Atatürk-Kulturzentrum dominierte den Taksim-Platz, der wie kein zweiter Ort für das moderne Istanbul steht. Es war das Opernhaus der Stadt, und mehr: ein Symbol für die säkulare, europäische Ausrichtung des Landes. Eben die wird gerade abgeschafft, von Erdoğans anatolisch-ländlich geprägter islamisch-konservativer AKP. Lange war unklar, ob das Gebäude, das seit 2008 leer stand, eine Zukunft hat. Noch im März konnte man eine Ruine besichtigen, grau, ausgehöhlt, bis auf den Rohbau skelettiert. Inzwischen klafft hier eine riesige Lücke, hoch überm Bosporus.

Das Kulturzentrum entstand im progressiven Geist der 60er

„Unsere Familie wohnte in der Nähe, am Sonntagvormittag gingen wir immer zu den Konzerten“, erinnert sich Murat Tabanlıoğlu. Wir treffen uns in Berlin, im Hotel am Potsdamer Platz. Das Leben des 58-jährigen türkischen Architekten ist eng mit dem Gebäude verwoben: Sein Vater Hayati hatte es einst entworfen. Und er, der Sohn, baut es jetzt neu. Eine Ausstellung in der Architekturgalerie Friedrichshain stellte das Projekt kürzlich vor.

Man kann an der Geschichte des Atatürk-Kulturzentrums ablesen, wie eng Theaterbauten mit Politik und dem Repräsentationsbedürfnis der Herrschenden verknüpft sind, seien es Fürsten, Diktatoren oder demokratisch gewählte Regierungen. Auch in Berlin: Friedrich II. hat Knobelsdorff gleich nach seiner Krönung mit dem Bau einer Oper beauftragt – der heutigen Staatsoper, ein sprechender Name. Das Istanbuler Kulturzentrum entstand im progressiven Geist der 60er Jahre, als Süleyman Demirel Ministerpräsident war: Nüchtern, mit einer Vorhang-Fassade aus Aluminium. „Das musste aus Wuppertal herangeschafft werden, in der Türkei gab es nicht genug“, erinnert sich der Architektensohn. In Wuppertal lebt bis heute der 91-jährige Lichtdesigner Johannes Dinnebier, der das Beleuchtungskonzept für das Zentrum entworfen hatte und dabei eine Art Palast der Republik für die Türkei schuf. Später arbeiteten Tabanlioglu und Dinnebier noch mal zusammen, beim Bau des Atatürk-Flughafens.

Ballett, Konzerte und Ausstellungen standen auf dem Programm

Das Atatürk-Kulturzentrum war kein schöner Bau im eigentlichen Sinne und doch ein Ikone. Ballette und Konzerte mit türkischer und westlicher klassischer Musik wurden gegeben, eine Galerie zeigte Kunst. Tatsächlich ein Kulturzentrum, nicht nur ein Opernhaus. Es war geprägt von der deutschen Architekturgeschichte der Moderne, die auch in der Türkei ihre Spuren hinterließ. Bruno Taut vollendete in Istanbul sein Buch „Architekturlehre“, hier starb er 1938. Der konservative Architekt Paul Bonatz, in den 30er Jahren Berater des NS-Autobahnbauers Fritz Todt, zog 1943 nach Ankara, war dort am Bau der Staatsoper beteiligt und Professor an der TU Istanbul. Auch Bonatz’ Schüler Gerhard Graubner, Architekt des Schauspielhauses Bochum, lehrte in Istanbul und in Hannover – und war dort Lehrer von Hayati Tabanlıoğlu. Kein Wunder, dass Sohn Murat erzählt: „Bei uns zu Hause wurde sehr viel Deutsch gesprochen, ich ging auf ein staatliches Gymnasium mit deutschen Lehrern.“

2008 geschlossen, 2018 abgerissen

Der Bau des Kulturzentrums war die große Chance für seinen Vater. In den 70er und 80er Jahren florierte das Haus, sein Ende kam mit den nuller Jahren, parallel zum Aufstieg Erdoğans. Der äußerte schon früh, das Haus solle durch ein „wahrhaft schönes Bauwerk“ ersetzt werden. 2008 wurde es geschlossen, offiziell für eine Sanierung bis 2010, jenem Jahr, in dem Istanbul Kulturhauptstadt Europas war. Doch nichts geschah. Die nach dem Erdbeben von 1999 verschärften Bestimmungen erschwerten eine Sanierung zusätzlich. Strahlkraft entwickelte das Kulturzentrum noch einmal während der Gezi-Proteste 2013, als die Fassade mit Protestplakaten übersät war. Dann parkten Polizeiwagen im Inneren, beschädigten die Statik.

Die Istanbuler Architektenkammer protestierte: Das Gebäude werde nicht saniert, um einen Vorwand zu schaffen, es abzureißen. Die streitbare Kammervorsitzende Mücella Yıpıca warnte: „Genau die Musik und Opern, die hier präsentiert wurden, entsprechen nicht der Einheitskultur, die die aktuelle Regierung unserer Gesellschaft aufdrücken möchte.“ Es half nichts: Im Juni 2017 kündigte Erdoğan den Abriss an.

Es wird kein reiner Neubau, sondern eine Rekonstruktion

Wie es weiterging, erzählt Murat Tabanlıoğlu in Berlin. Letzten Herbst bekam er einen Anruf des damals zuständigen Kulturministers Nabi Avci: Ob er die Planungen für den Neubau übernehmen würde? Er spricht darüber so, als würde es ihm nichts ausmachen, dass das Erbe seines Vaters hier abgerissen wird. Vielleicht hilft ihm der Gedanke, dass er immerhin zwei Forderungen durchgesetzt hat: Es wird kein reiner Neubau, sondern eine Rekonstruktion, und sie wird wieder „Atatürk Kültür Merkezi“ heißen. Was keine Selbstverständlichkeit ist. Der Name des Staatsgründers ist in der Türkei schon lange nicht mehr sakrosankt.

Keiner dürfte das frühere Kulturzentrum so gut kennen wie Murat Tabanlıoğlu. Nach seinem Studium an der TU Wien bei Rob Krier (von dem das Neubauquartier an der Kreuzberger Ritterstraße stammt) gründete er 1990 mit seinem Vater ein Architekturbüro. Hayati Tabanlıoğlu starb 1994, das Büro hat Hotels, Wohnungen und Bürogebäude in der ganzen Welt entworfen, auch Stadion und Hauptbahnhof der kasachischen Hauptstadt Astana. In Istanbul baute Tabanlıoğlu ein Lagerhaus am Bosporus zum Museum of Modern Art um. Für das neue Kulturzentrum war er schon vor Jahren mit Entwürfen auf der Architekturbiennale in Venedig vertreten. Aber erst mit dem Anruf des Ministers wurde die Sache konkret. „Ich sagte zu, unter der Bedingung, dass es eine Rekonstruktion wird.“

Der neue Opernsaal soll 2300 Plätze haben

Die Kubatur soll erhalten bleiben, die markante Aluminium-Fassade wird nachgebaut. Jetzt aber ist sie transparent, gibt den Blick frei auf eine große, rote Halbkugel, den Zuschauersaal. Dabei hat sich Tabanlıoğlu anregen lassen von Walter Gropius’ Konzept des „Totalen Theaters für Erwin Piscator“, das die Trennung zwischen Darstellern und Zuschauern aufhebt. Der neue Opernsaal, die Kugel, zählt 2300 Plätze statt bisher 1300. Außerdem ist ein eigener Saal für Symphoniekonzerte geplant, ein Kammerkonzertsaal für 800 und ein Theater für 500 Besucher, eine „Black Box“ als Mehrzweckraum, vier kleinere Kinosäle und drei Kunstgalerien. Die Lichtplanung soll der Sohn von Johannes Dinnebier übernehmen, Jan Dinnebier.

Schöne Pläne. Doch werden sie auch realisiert, jetzt, in der Wirtschaftskrise? Murat Tabanlıoğlu hat vor wenigen Tagen mit Kulturminister Numan Kurtulmuş gesprochen, er ist zuversichtlich, dass es bald zur Ausschreibung kommt. Die Baufirmen müssen jetzt ihre Angebote abgeben, erst dann ist klar, wie teuer das Ganze wohl wird. Tabanlıoğlu hat Präsident Erdoğan zweimal getroffen, ihm die Architektur der Scala, der Opernhäuser von Sydney und Oslo und der Elbphilharmonie erläutert. Und er versichert: Zu keinem Zeitpunkt hätte der Präsident Einfluss auf ästhetische oder architektonische Details genommen. „Er stellte sehr exakte Fragen zu Technik und Materialien, ich war verblüfft über sein Wissen.“

Mit Erdoğans Umbau des politischen Systems hat Murat Tabanlıoğlu weniger Probleme als westliche Beobachter. Auch andere Länder wie Frankreich hätten starke Präsidenten, sagt er. Und: „Wenn ich in der Türkei keine Freiheiten hätte, würde ich dort nicht als Architekt arbeiten.“ Tabanlıoğlu plant in Berlin einen Ableger seines Büros, doch Istanbul ist seine Heimatstadt. Und mit dem Atatürk-Kulturzentrum, wenn es denn gebaut wird, wird er sich weiter in deren Architekturgeschichte einschreiben. Ob der Bau dann zum Symbol wird für die Freiheit der Kunst oder doch eher für den Weg der Türkei in die Präsidialdiktatur, das steht auf einem anderen Blatt.

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