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TalentCampus

© Mike Wolff

Talent Campus: Network & Speedmatch

Beim Talent Campus der Berlinale trifft sich der Nachwuchs. Junge Filmemacher lernen hier von den Großen und knüpfen Kontakte.

Beim Networking zählen manchmal Minuten. Eine Hupe trötet und 150 junge Menschen auf weißen Papphockern geraten auf Kommando in Bewegung. Platz wechseln, bitte! Und schon sitzen sie einem neuen Gesicht gegenüber. Drei Minuten hat der Filmbranchen-Nachwuchs Zeit, um sich beim „Global speedmatching“ einander vorzustellen. Die Aktion ist Teil des sechstägigen „Talent Campus“-Programms – ein Mikrokosmos innerhalb der Berlinale und seit den Anfängen der Ära Kosslick ihr fester Bestandteil. 350 junge Regisseure, Schauspieler, Komponisten und Produzenten treffen sich noch bis Donnerstag in den drei Spielstätten des Hebbel am Ufer. Sie besuchen Workshops und Vorträge über Drehbuchschreiben, Castings oder Pitchings, diskutieren mit erfahrenen Film-Kreativen wie Bertrand Tavernier, Wim Wenders, Til Schweiger oder Julie Delpy. Vor allem sollen die sogenannten Talents aber mit einem Haufen neuer Telefonnummern im Gepäck nach Hause fahren, in eines der 106 Länder, aus denen die Campus-Teilnehmer stammen.

Der 27-jährige Mike-Steve aus Nigeria hat es beim Speedmatching ganz besonders schwer. Der Regisseur von Animationsfilmen sitzt der 26-jährigen russischen Dokumentarfilmerin Aglaya gegenüber, die ihm gleich zu verstehen gibt, dass sie Animationsfilme nicht leiden kann. „Dann hast du noch nicht die richtigen gesehen“, kontert er aufmunternd, aber auch trotzig. Die Hupe trötet wieder, keine Zeit für längere Überzeugungsversuche. Dennoch schiebt er ihr sein Adressbüchlein zu, als beide schon längst im Gespräch mit dem Nächsten sind. Am Ende der einstündigen Dating-Runde schwärmt Aglaya davon, wie spannend es sei, so viele neue Leute kennenzulernen. „Aber richtig spannend wird es erst nach dem Talent Campus.“ Werden sie tatsächlich Kontakt halten?

Im Programm dieser Berlinale laufen 22 Filme, an denen ehemalige Campus-Gäste beteiligt waren. Für die Organisatoren ist das ein Zeichen dafür, dass das Konzept aufgeht und fruchtbare Zusammenarbeiten in Berlin entstehen. Zum siebenten Mal findet der Talent Campus statt, diesmal unter dem Motto „Suddenly It All Happened — The turning point in Close-Up“. 

Der Wendepunkt im eigenen Leben, davon träumt der Filmnachwuchs – und hängt an den Lippen der Großen. Sir David Hare, Drehbuchautor von „Der Vorleser“ und „The Hours“, sitzt am zweiten Tag auf der Bühne des HAU 1 und liefert eine Anekdote nach der anderen. So habe er einmal auf folgende Weise ein Angebot abgelehnt: „Sie schreiben so gute Dialoge“, habe ein Regisseur zu ihm gesagt. Und er habe geantwortet: „Aber ich kann keine guten Dialoge für schlechte Filme schreiben.“ Das Publikum lacht. Die Stimmung ist wie in einem Vorlesungssaal in der Uni. Unten die Studenten, oben der Professor. Einige schreiben sich die Geschichte flugs in ihr Notizbuch.

Tag drei: Die Talents sind inzwischen eine eingeschworene, gut gelaunte Gemeinschaft. Morgens werden sie mit Shuttle-Bussen im Bermuda-Dreieck zwischen HAU 1, 2 und 3 abgeladen. Dann gibt es erst einmal Frühstück, das nicht einfach Frühstück heißt, sondern „Rise and Shine“-Breakfast. In den Fluren und Vorräumen sitzen Grüppchen mit Dozenten aus der Filmbranche zusammen. Andere hacken lange Texte in ihre Laptops oder halten ein Nickerchen.

Da, auf den Stufen des Theaters: ein bekanntes Gesicht aus dem Kennenlernspiel. Vanessa, Komponistin aus England und Anfang Dreißig, findet, seit dem ersten Tag seien geradezu Jahre vergangen. Vom regulären Berlinale-Betrieb bekommt sie nicht viel mit: keine Zeit. Auf ihrem Festival-Plan steht unter reichlich anderem noch eine Exkursion zum Filmorchester Babelsberg. Die geballte Ladung Branchenluft, sagt Katja, eine Deutsche, die neben ihr sitzt, sei schön und schockend zugleich. „Hier treffe ich sehr viele Gleichgesinnte – und sehr viele Konkurrenten.“ Dann müssen die beiden jungen Frauen los, Tilda Swinton angucken, die in der Veranstaltungsreihe „In the limelight“, im Rampenlicht, mit den Talents spricht. Lernen von den Großen — dieses Prinzip haut bei der Schauspielerin und diesjährigen Berlinale-Jury-Präsidentin jedoch nicht so gut hin. „Ihr müsst mir glauben“,sagt sie, „ ich weiß nichts über Schauspielen.“ Eine junge Frau hakt nach. „Aber Sie müssen sich doch auf Rollen vorbereiten?“ Und Tilda Swinton antwortet: „Ich verkleide mich eben so gut wie möglich.“ Auch ein Satz, der im Notizbuch landet.

Viele der Podiumsdiskussionen sind öffentlich: www.berlinale-talentcampus.de

Mit gezückten Notizbüchern lauscht der Nachwuchs den Anekdoten von Tilda Swinton

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