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Blick nach vorn. Ibrahim Shaddad mit Kamel im leeren Kino.

© Agat Films & Cie

„Talking about Trees“ auf der Berlinale: Filmfreaks mit Mission

Ein Kino für den Sudan: Ein Treffen mit dem Filmemacher Suhaib Gasmelbari, dessen Doku „Talking about Trees“ im Panoroma läuft.

Die sechs Moscheen der Nachbarschaft rufen täglich fünfmal zum Gebet. Der Gesang der Muezzins begleitet Ibrahim, Suleiman, Manar und Altayeb während ihrer Renovierungsarbeiten. Ob sie die alte Kinoleinwand säubern oder das neue Schild hoch oben über dem Eingang befestigen – der immer wieder einsetzende Gebetsruf erinnert die älteren Herren schmerzhaft an ihre Grenzen, die die islamische Regierung des Sudans feststeckt. Irgendwann beginnt Ibrahim Shadad, ein schmaler Mann mit Schnäuzer und Brille, zu grinsen: Sie müssten aufpassen, dass nicht gerade „Gott ist groß“ ertönt, während auf der Leinwand eine Liebesszene läuft.

Die vier Freunde wollen ein altes Kino – einen großen stolzen Bau unter freiem Himmel – wiedereröffnen. Der Filmemacher Suhaib Gasmelbari hat sie für seine Dokumentation „Talking about Trees“ bei dieser schwierigen Mission begleitet. Seitdem 1989 Omar al-Baschir an die Macht gekommen ist, mussten nach und nach alle 65 Kinos im Land schließen. Die vier Herren, alle selbst Filmemacher und Gründer eines Filmclubs, hegen den leidenschaftlichen Wunsch, das sudanesische Kino wiederzubeleben, den Leuten einen Teil ihrer Kultur zurückzugeben. Tickets sollen nichts kosten.

Sie richten das verwaiste Gebäude wieder her, restaurieren die Filmbestände, streichen die Wände und kämpfen gegen die unsinnigen Einwände der Behörden. Als es heißt, sie würden von ausländischen Organisationen finanziert, lachen sie gemeinsam. Gerade erst haben sie sich über den astronomischen Preis unterhalten, den ein neuer Projektor kosten würde – Geld, das sie nicht aufbringen können. Dank ihres Humors stecken die Männer solche Rückschläge weg. Und ihr entzückender Umgang miteinander vermittelt auch dann Hoffnung, wenn jede Mühe vergeblich zu sein scheint.

Die Filmarbeiten waren schwierig

Kino sei im Sudan einst beliebter gewesen als Fußball, sagt der 1979 im Sudan geborene Gasmelbari beim Gespräch in Berlin. Er hat das Filmclub-Team kennengelernt, als es mal wieder mit seinem mobilen Kino über die Dörfer kam, um Vorführungen von Klassikern zu veranstalten. „Den Jungen fehlt das Erlebnis, ins Kino zu gehen“, sagt Ibrahim Shadad, der ebenfalls auf dem Festival zu Gast ist. In „Talking about Trees“ sieht man ihn Jugendliche nach ihren Filmwünschen fragen. „Alle haben positiv reagiert“, erzählt er. Aber ihm sei aufgefallen, dass die Schüler nur Fernsehserien kennen. „Django Unchained“ von Quentin Tarantino wählt der Filmclub schließlich für das Kino aus.

Die Protagonisten von Gasmelbaris Dokumentarfilm haben alle im Exil studiert, auf verschiedenen Kontinenten. Ibrahim Shadad hat seinen Abschluss zu DDR-Zeiten an der Filmuniversität Babelsberg gemacht – mit seinem Western „Jagdpartie“, der am heutigen Freitag zusammen mit fünf weiteren Kurzfilmen der Gruppe im Kulturquartier Silent Green gezeigt wird. Ein Mann wird von Cowboys verfolgt. Irgendwann findet der Flüchtende einen Unterschlupf und auch einen Freund. Letzterer fällt ihm jedoch in den Rücken, als er sein eigenes Leben in Gefahr sieht.

Suhaib Gasmelbari
Suhaib Gasmelbari

© Berlinale

Im Sudan sei es aktuell schwierig, mit der Kamera herumzulaufen, erzählt Regisseur Gasmelbari. Die Filmarbeiten zu „Talking about Trees“ seien deswegen mehr als schwierig gewesen. Möglichkeiten, Filme zu zeigen, gebe es sowieso nicht. Es sei denn, man lasse sich mit der Regierung ein, aber das liege schließlich nicht in ihrem Interesse.

Der Titel basiert auf einem Brecht-Zitat

Die Einstellung der Protagonisten wird auch im Film deutlich: Keine Werbung soll es geben, keine politischen Reden sollen im alten Kino stattfinden, heißt es zu Beginn. „Um zu beweisen, dass wir es ohne können“, fügt Ibrahim in der Szene hinzu. Das System spiele den Leuten im Sudan eine Illusion von Freiheit vor, sagt Gasmelbari, aber ihr Anliegen sei echte Freiheit. Hoffnung schöpft Gasmelbari aus den aktuellen Protesten gegen den Langzeitherrscher al-Baschir, die seit dem 19. Dezember andauern. „Es scheint gerade der richtige Zeitpunkt für eine Veränderung zu sein“, sagt er. Seine Protagonisten, die mit Hingabe gegen ein System kämpfen, das viel stärker ist als sie, die sich aber nie von ihren Ideen haben abbringen lassen, machen Mut.

Der Titel „Talking about Trees“ ist an Zeilen aus Bertolt Brechts „An die Nachgeborenen“ angelehnt. Nach so vielen Misserfolgen müsse Hoffnung wachsen, sagt Ibrahim in einer Szene. Manar zitiert darauf den deutschen Dramatiker: „Zeiten, in denen über Bäume zu sprechen fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“ Aber Gasmelbari und seine Protagonisten schweigen nicht – und sie fordern den Kinobesucher heraus, auch zwischen den Zeilen zu lesen.

16.2., 13 Uhr (Zoo Palast 2), 17.2., 14.30 Uhr (Colosseum 1), Kurzfilme: 15.2., 15 Uhr (Silent Green/Krematorium Wedding)

Helena Davenport

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