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Kultur: "Talking to Angels": Rome over Beethoven

Ein Engel fällt vom Himmel. Und als sich die Fluten des Tiber begierig über seinen Flügeln schließen, ist plötzlich, einen winzigen Atemzug lang, alles gut.

Ein Engel fällt vom Himmel. Und als sich die Fluten des Tiber begierig über seinen Flügeln schließen, ist plötzlich, einen winzigen Atemzug lang, alles gut. Die Geburt der Musik aus dem Geist der Tragödie? Martha Argerich und Claudio Abbado erzählen im Adagio von Beethovens 2. Klavierkonzert eine uralte Geschichte. Von der Vertreibung aus dem Paradies. Vom Verlust der Unschuld. Vom kurzen Glück auf Erden. Sie in schmerzhaften herben, schmerzlich scheuen Klagegesängen, dem Pietà-Gestus des ersten Themas eigentümlich verfallen. Er mal Hüter, mal Beschützer, mal selbst der Bedürftige. Sie, das Mädchen mit der wallenden, schwarzen Mähne; er, ganz Maestro und, wie es so seine Art ist, ganz Sphinx. "Schubert talks to Angels", hat Vladimir Horowitz einmal gesagt. Aber Beethoven auch! - möchte man rufen. Nur dass wir ihm, dem prometheischen Blitzeschleuderer, solche Empfindsamkeit kaum zugetraut hätten. Das war, das ist das aufregend Neue an dieser Geschichte.

Was wäre der fränkische Flecken Bayreuth heute ohne Richard Wagner? Was Salzburg ohne Mozart, sein störrisches, göttliches Kind? Was Wien ohne Schubert? Aber Beethoven - in Rom? Was sollte der hitzige Revolutionär ausgerechnet hier, wo alles "ewig" währt? Mit Entschlossenheit und Augenzwinkern trat Claudio Abbado den Zweiflern entgegen: ein Medley aus der italienischen Nationalhymne und "Freude schöner Götterfunken" eröffnete den sechstägigen Zyklus im Auditorio "Santa Cecilia" am Fuße des Vatikans. Bei der Hymne stand der ganze Saal geschlossen auf. Auch bei den Takten aus Beethovens Neunter - vorsichtige Blicke nach rechts und nach links - blieb man stehen. Den Berliner Gästen zuliebe. Man weiß ja nie.

Rom, Frühling, Musik - was sich auf dem Tournee-Plan der Philharmoniker wie ein Stück dolce vita liest, erweist sich als Knochenarbeit. Drei Stunden Probe am Vormittag, an sechs der acht Tage abends Konzert, immer wieder Korrekturen für das beteiligte Fernsehen. Gewiss, ihren Beethoven, Abbados Beethoven, haben die Musiker im Blut. Und der Jubel der römischen Schickeria dürfte ihnen ganz unabhängig von Abbados Lesart sicher sein. Es sei das erste Mal, schreibt der Corriere della Sera zum Auftakt, dass Claudio Abbado so lange in der Hauptstadt weile; das erste Mal, dass die Berliner Philharmoniker sich mit einem kompletten Zyklus die Ehre geben; das erste Mal, dass sich für Beethovens Klavierkonzerte fünf der weltbesten Pianisten (Alfred Brendel, Martha Argerich, Jewgenij Kissin, Gianluca Cascioli, Maurizio Pollini) buchstäblich die Tasten in die Hand geben. Italien feiert: Abbado, die Solistin, das glänzend aufgelegte Philharmonische Orchester, sich selbst - und ein klein wenig wohl auch Beethoven, den Titan.

Claudio Abbado - von Krankheit gezeichnet, doch in der Arbeit enorm vital und im Umgang mit dem Orchester selig-fröhlich entspannt - will Beethoven ganz: keine rauchenden dekonstruierten Trümmerhaufen, keine Rhetorik um der Rhetorik Willen, aber auch kein ideologisches Geschehenlassen, keine romantischen Über-Bekenntnisse. So lustvoll, ja sportiv Abbado in den Tempi der schnellen Sätze an Grenzen geht, so mutig er und das Orchester sich dem Leisen, Lyrischen anvertrauen, so klar die harmonischen Fronten jederzeit sind: dieser Beethoven ringt, hadert, zweifelt nicht, jedenfalls nicht in erster Linie. Dieser Beethoven singt. Anmutiger, schöner, wissender denn je.

In den Proben sitzen Morgen für Morgen mehrere hundert Studenten. Ergriffen. Befeuert. Mucksmäuschenstill.

Abends, zwischen Pelzen und Designerroben, lässt die Disziplin nach. Das notorisch quäkende Telefonino wird mit gekonntem Griff erstickt (just im Trauermarsch der "Eroica"!), Mäntel, Schals und Schirme fliegen achtlos über die nächste Brüstung oder den Vordermann, es wird gern gehustet. Nirgends kommen so viele Menschen so demonstrativ zu spät wie hier. Ganze Pulks schoben sich nach der Egmontouvertüre, nach dem ersten, dem zweiten, ja dem dritten (!) Satz der von Haydnscher Heiterkeit beseelten C-Dur-Sinfonie in den Saal. Unerhört, schimpfte da unser kleines deutsches Herz klein und hart und deutsch in sich hinein. Keinen Respekt, Mensch, vor der Kunst!?

Rom ist schön, so, wie eben nur Rom schön sein kann. Der Vollmond über dem Tiber, Sankt Peter in seiner eitlen Pracht, das stille Leuchten des Himmels im Pantheon. Und nach jedem Schauer, oh Wunder, spannt sich hoch über der Engelsburg ein Regenbogen.

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