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Tanz: Bolschoi in Berlin

Der französische Choreograf Angelin Preljocaj setzt sich in der gemeinsamen Produktion des Bolschoi-Theaters und des Ballet Preljocaj mit der Apokalypse auseinander, diesem Buch mit sieben Siegeln.

Von Sandra Luzina

Eisenketten fallen vom Bühnenhimmel, und es ist ein Wunder, dass keiner der tanzenden Engel erschlagen wird von dieser Waffe aus dem biblischen Symbolarsenal. Als sich dann auch noch eine himmlische Friedenstruppe formiert und mit den Ketten rasselt, ist das in seiner gewaltigen Ambivalenz eins der stärksten Bilder dieses furiosen Abends. Die Lektüre der Offenbarung des Johannes war der Anstoß zu dem Tanzstück „And then, one thousand years of peace“, mit dem Angelin Preljocaj bei der Spielzeit Europa für Zeichen und Wunder sorgt. Der französische Choreograf setzt sich in der gemeinsamen Produktion des Bolschoi-Theaters und des Ballet Preljocaj mit der Apokalypse auseinander, diesem Buch mit sieben Siegeln.

Wie er die biblischen Zeichen in einer bestürzenden Körpersprache neu deutet, ist ungemein fesselnd. Es gelingt am besten dort, wo er die Prophezeiungen politisch interpretiert. Da hüllen die Tänzer Kopf und Körper in die Fahnen von Nationen, die Kriege angezettelt haben oder in blutige Konflikte verstrickt sind – blinde Akteure, die sich zu Gruppensex-Standbildern arrangieren. Die Pornografie der Politik. Ständig werden Partner und Position gewechselt – und die Schwachen müssen den Mächtigen zu Diensten sein.

Doch die russische Fahne fehlt – sie musste nach einer Intervention von oben entfernt werden. Das erzählt viel über die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit. Dabei ist es phänomenal, wie die zehn Bolschoi-Tänzer mit den elf französischen Kollegen verschmelzen. Die Russen mit ihren stählernen Körpern sind auch ausdrucksstark. Gebannt schaut man den beiden Männern zu, die sich zunächst heftig attackieren und dann in einem gierigen Kuss vereinigen. Eine wundersame Erscheinung sind die beiden Engel mit den hochgetürmten Edelstahl-Helmen, die der indische Künstler Subodh Gupta entworfen hat. Laurent Garniers harte Techno-Klänge driften immer wieder in den Trance-Dance und so wechselt hier Raserei mit Momenten der Entrückung. Preljocaj will den Schleier lüften – Apokalypse heißt Enthüllung – und so treten Verblendete und Sehende auf.

Sodom und Gomorrha, politische und religiöse Indoktrination: Manchmal will das Stück dann doch zu viel. Dann wirken die Bilder beliebig. Doch man muss Preljocaj für seine Kühnheit bewundern. Durchaus bibeltreu lässt er alles in einer pazifistischen Vision kulminieren. Die Flaggen werden gewaschen, an die Wand geklatscht und auf dem Boden ausgebreitet. Am Ende trägt ein Engelspaar zwei Lämmchen auf die Bühne, die verschreckt über den Friedensteppich hoppeln. Dieser Schluss ist zwar nahe am Kitsch, aber auch ein berührendes Bild für die Hoffnung auf Erlösung. Sandra Luzina

Wieder am heutigen 4. 12., 20 Uhr

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