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Kultur: Tanz der blinden Flecken

Wie hältst du es mit der Oberfläche? Der Berliner Maler Eberhard Havekost zeigt seine Bilder im Museum Küppersmühle in Duisburg.

Es gibt eine berühmte, alte Kriminalgeschichte, in dem sich ein dringend gesuchtes Dokument nur deshalb nicht finden lässt, weil der Täter es offen auf seinem Schreibtisch abgelegt hat. Was offen zutage liegt, wird manchmal zum Geheimnis. So ähnlich ist es Eberhard Havekost gerade im Museum Küppersmühle ergangen, seiner ersten großen Einzelausstellung in Deutschland seit seiner Werkschau in Dresden und dem Amtsantritt als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie 2010.

Das Privatmuseum zeigt den Berliner Künstler im Rahmen einer Ausstellungsserie zu Ehren Düsseldorfer Akademieprofessoren. Aber nirgends in der Ausstellung findet sich ein Hinweis darauf, worum es dem durchtriebenen Täter geht. Havekost selbst war es, der seine Werke in Kontrasten, Wolken, widersprüchlichen Kombinationen aufgehängt hat. Nur spricht niemand darüber, dass hier ein Maler auf höchst subversive Weise das Geschäft des Ausstellungskurators übernommen hat, um unseren Glauben an Bilder und Museen auf die Probe zu stellen.

Das Publikum steht in einer akribisch inszenierten Provokation und kann es doch kaum bemerken. Es bewundert das Spiel der Farben, vergleicht Havekosts diffus aufgelöste Objekte mit Gerhard Richters Unschärfe und beobachtet den angekündigten „Malerstar“, wie er in einer parodistisch mondänen Jacke sibyllinisch die Auskunft erteilt. Es ist seine schönste Ausstellung seit langem. Spielerisch, boshaft, komisch lässt er reproduzierte Schnappschüsse mit surrogatgesüßter Abstraktion zusammenstoßen, konterkariert mathematische Geometrie und expressive Gesten. Ein sokratischer Ironiker ist da am Werk und stellt jedem Bild sein Gegenbild zur Seite. Es ist ein Plädoyer gegen das grundlose Vertrauen auf die Leinwand aus bloßer kunsthistorischer Tradition.

Eine Farbfeldabstraktion von Richter taucht da erst als nacktes Zitat, dann mit addierten Zwischenräumen, schließlich verwaschen wie hinter einer Grauverschleierung auf. Dahinter verbirgt sich mehr als nur eine kritische Distanzierung gegenüber den Bildvokabeln der Moderne, in der ein paar farbige Rechtecke alles bedeuten können, aber niemand mehr weiß, warum. Es ist auch ein Motivationstraining für die Nahbetrachtung der Leinwände, etwa wenn sich das Grau nicht als verfremdende Zugabe, sondern als völlig eigenständiger Bildinhalt, als Ausflug in andere malerische Welten erweist. Wie ernst nimmst Du die Oberflächen, fragt der Meister. Eine Frage, die noch viel komischer wirkt, wenn gleich daneben ein monumentaler Flachbildfernseher, unser Fenster zur Welt, auf grauem Grund erscheint. Konsumprodukt auf Monochromie. Pop als physikalische Übung: Was ändert sich für uns, wenn ein digitales Bild auf eine Leinwand übergeht?

Für Havekost fließen alle skeptischen Fragen zusammen, die man an ein Gemälde richten kann, seit eine immer verfeinertere digitale Technik die Welt in einen Baukasten visueller Reproduktion verwandelt hat. Jedes Bild hat eine Variante. Der Realismus beginnt für ihn erst dort, wo der Maler den Pinsel auf einem Tuch ausstreicht und das Tuch auf einen Keilrahmen spannt. Reiner Zufall, reine Subjektivität, reines Sammelobjekt, durch nichts legitimiert als den Handstreich des Künstlerheros. Havekost hat genau das getan und seine Willkür dann in Versuchsreihen getestet. Was, wenn die Willkür zur Methode wird? Was, wenn der Zufall, wie so häufig in der Kunst, zur voraussehbaren Verabredung gerät? Und vor allem, was fangen wir mit diesen Laborprodukten an?

Havekost nennt seine Bilder gern „Benutzeroberflächen“, um deutlich zu machen, dass Bilder keine Wahrheiten enthalten, sondern Interfaces zwischen uns und dem Maler, seiner Imagination und der Außenwelt sind. In Duisburg aber ist die Ausstellung selbst eine Benutzeroberfläche für die Kritik am Ausstellen. Da springt in einer abgeteilten Kammer der blinde Fleck auf unserer Netzhaut als vervielfältigtes Motiv über die Leinwände, oder kühle optische Geometrie und ein geklonter romantischer Impressionismus hängen wie Wunschbilder zum Aussuchen nebeneinander an den Wänden.

Es ist aber kein postmoderner Beliebigkeitsspaß, den der Maler hier inszeniert, sondern ein Feldversuch am Sprachsystem Malerei. Havekost nutzt das Museum als Resonanzraum. Er erzeugt Töne und Echos und hofft, von der Institution Antworten zu bekommen. Das Museum aber schweigt. Die Kuratoren reagieren nicht. Bleibt zu hoffen, dass sich unter den Besuchern viele getarnte Detektive befinden.Gerrit Gohlke

Museum Küppersmühle Duisburg, bis 20.10.; Katalog (Wienand) 28,50 €

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