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Tanz: Der Hip-Hop-Philosoph

Auf ihn hat die Tanzwelt gewartet: Bruno Beltrao eröffnet das Berliner Festival "Brasil em cena".

Von Sandra Luzina

Keiner versetzt derzeit die Tanzwelt derart in Begeisterung wie Bruno Beltrao, der 28-jährige Brasilianer aus Niterói, der Nachbarstadt Rio de Janeiros. Er fing früh als Streetdancer an, räumte mit seiner Crew ab bei Championships. Heute ist er der Darling der europäischen Theater- und Festivalleiter. Wie konnte das passieren? Vielleicht war es ja bei einem headspin – Bruno Beltrão hat jedenfalls die Lust am Denken entdeckt. Er fing an, die Hip-Hop-Philosophie zu hinterfragen, die in ihrem Kern machistisch ist. Der Breakdance mit seinen battles zielt auf permanente Überbietung. Wer da nicht mehr mithalten will, gilt als Abweichler.

Der abtrünnige Beltrao begann ein Philosophie- und Tanzstudium, widmete sich bald aber ganz der choreografischen Forschung, kreuzte die Techniken wie Popping und Locking mit den Konzepten des zeitgenössischen Tanzes. Das Resultat war aufregend neu – analytisch und energetisch, ja geradezu mitreißend in seiner physischer Vehemenz. Auf so einen hatte die Tanzwelt gewartet.

Von der großen choreografischen Begabung des Freigeistes kann man sich nun beim Festival „Brasil em cena“ im Hebbel am Ufer (HAU) überzeugen. Mit der Produktion „H3“, die vor kurzem beim Kunstenfestival in Brüssel für Furore sorgte, hat Beltrao das Festival eröffnet, das bis zum 31. Mai läuft und sich eigentlich Theater und Performanc widmet. Aber die Brasilianer sehen das ja nicht so eng. HAU-Chef Matthias Lilienthal hat wohlweislich eine zusätzliche vierte Vorstellung des Tanzabends anberaumt, denn es steht zu erwarten, dass das Publikum ihm die Bude einrennt.

Der Fokus von „H3“ liegt auf Fragen der Wahrnehmung und des Raums, in erster Linie untersucht Beltrao aber die Möglichkeiten physischen Kontakts. Zu Beginn schlendern zwei Jungs der Grupa de Rua in Nike-Turnschuhen lässig auf die Bühne, die anderen sitzen am Rande und schauen zu. Der eine berührt den anderen sanft an der Hand, doch die hergestellte Nähe ist spannungsgeladen. Die Energie explodiert dann regelrecht in Schwüngen, Kicks und wilden Attacken. Immer neue Duette werden gebildet, sie sind stets konfrontativ und erfordern doch ein eingespieltes Miteinander.

Man sieht viel Schubsen, Rempeln, Beißen und Ausweichen, die Duos zeugen aber auch von gegenseitigem Respekt und einer Art Komplizenschaft. „H3“ ist deutlich aggressiver als das Vorgängerstück, wobei die Tänzer sich nie als Underdogs oder finstere Ghettokrieger aufspielen.

Diese Jungs haben alle verschiedene Hautfarben und ganz unterschiedliche Körper – ihr Tanz ist weniger identitätsstiftend, sondern erzählt von Selbstbehauptung und Desorientierung. Anfangs wirkt das fast ein wenig spröde, zumal Bruno Beltrao auf Musik verzichtet und den Tanz von Alltagsgeräuschen grundieren lässt. Doch dann entwickelt „H3“ einen enormen Sog, auch wenn immer noch nicht die typischen Hip-Hop- Klänge zu hören sind.

Die Tänzer springen sich aus schnellem Lauf an und weichen haarscharf dem drohenden Zusammenstoß aus. Sie jagen in Neunerformation über die Bühne und verzahnen geschickt ihre Läufe. Oder sie bilden einen Pulk, einer wird dann wie ein Geschoss aus der Gruppe herauskatapultiert und fegt im Rückwärtslauf auf kurviger Bahn durch den Raum. Bei den Rückwartsläufen werfen sie den Kopf zurück und scheinen mit ihren Gedanken in den Wolken zu sein.

Beltrao erkundet diesmal die Vertikale und ersinnt lustige Sprünge. Oftmals fallen die Jungs aber auch einfach rücklings zu Boden. Nicht um das Ausstellen von purer Virtuosität geht es Beltrao, auch wenn natürlich einige der Powermoves zu bewundern sind, diffizile Handbalancen. Für einen Moment nur scheinen diese durchtrainierten Körper durchaus verletzlich. Trotz all der Annäherungen demonstriert „H3“ eher die Unmöglichkeit von Kontakt. Dem Tanz nimmt das aber nichts von seiner Rasanz. Am Ende sausen die Brasilianer wie ein Geschwader von Ufos durch die Luft. Tosender Applaus!

Beltraos „H3“ noch heute und morgen im HAU 2, jeweils 20 Uhr.

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