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Tanz im August: Dreckiger Spaß

Männerkörper, Männerfreundschaften, Männer überhaupt: Beim „Tanz im August“ dominiert bislang das vermeintlich stärkere Geschlecht.

Von Sandra Luzina

Sie dominieren bislang den „Tanz im August“ und bleiben am liebsten unter sich. Es geht um Männerkörper, Männerfreundschaften – wie in dem Stück „A coming community“, in dem zwei Performerpaare aufeinandertreffen. Pieter Ampe und Guilherme Garrido haben mit den Berlinern Hermann Heisig und Nuno Lucas einen Abend ausgeheckt, der spielerischen Elan und absurden Witz verbindet. Anfangs rücken die Performer sich gegenseitig mit einem Gebläse zu Leibe und sparen auch die empfindlichen Stellen nicht aus. Sie gehen nicht gerade zimperlich miteinander um, haben keine Angst, sich zu blamieren, und bringen nebenbei überholte Männerbilder zu Fall. Der Abend zeigt: Jungs wollen Spaß – und ein Bierchen, wenn alles geschafft ist.

Wie sich der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Homosexualität verändert hat, lässt sich an zwei Werken erkennen. Bei „Them“, einer Zusammenarbeit des New Yorker Choreografen Ishmael Houston-Jones, des Autors Dennis Cooper und des Gitarristen Chris Cochrane, handelt es sich um die Rekonstruktion einer Choreografie von 1985/86. Den historischen Kontext, in dem das skandalträchtige Stück entstand, muss man kennen. „Es war die Zeit der Aids-Hysterie. Da war diese unbekannte Gefahr, die Leute starben und wussten nicht, warum“, erzählt Houston-Jones. „Heute sind die Reaktionen der Zuschauer wärmer“, freut sich der Choreograf. „Wohl auch, weil wir nun eine Distanz dazu haben.“

Die Themen sind immer noch virulent, doch schockierend wirkt „Them“ heute nicht mehr. Aber berührend, auch durch den Auftritt der drei Veteranen. Houston-Jones legt viel Wut und Aufbegehren in sein kurzes Solo und verpasst sich am Ende mehrere Ohrfeigen. Coopers düster-lakonische Texte fügen Lust und Tod zusammen. Sexuell aufgeladen wirken die Begegnungen nicht. Die Körper prallen aufeinander und stoßen sich voneinander ab. „Them“ basiert auf der damals neuen Contact Improvisation, welcher der Choreograf eine aggressivere Stoßrichtung gibt. Das Stück zeigt, wie aus Begehren Angst wird und wie Verzweiflung in Gewalt umkippt.

Ein Abend zwischen Aufklärung und Verausgabung ist „Drugs kept me alive“. „Ich bin eine tanzende Apotheke“, bekennt Tony Rizzi in dem furiosen Solo, das Jan Fabre ihm auf den Leib geschrieben hat. Sex, Drogen, Medikamente – Rizzi, seit 15 Jahren HIV-positiv, redet mit frappierender Offenheit über legale und illegale Substanzen, der Katalog seiner Süchte ist beachtlich. Die Bekenntnisse eines alternden Tanz-Junkies sind erschütternd, aber auch von irrwitziger Komik. Rizzi schont sich nicht: Als durchgeknallter Zauberlehrling mixt er Cocktails, die sogar Pferde umhauen würden. Er gibt den entfesselten Sex-Maniac, der mit jedem Orgasmus den Tod besiegt. Rizzi erzählt vom biologischen Krieg, der in seinem Körper tobt, was Fabre überflüssigerweise mit grellen Soundeffekten verdeutlicht. Doch er begreift sich nicht als Opfer, er bleibt „ein unheilbarer Soldat der Liebe“. Das Schlussbild ist eine Apotheose: Hunderte Seifenblasen rahmen diesen dreckigen Heiligen.

Hinter den Kulissen wird derweil intensiv die Zukunft des Festivals debattiert. Kulturstaatssekretär André Schmitz soll einen runden Tisch mit Experten einberufen, fordert Nele Hertling, die frühere Intendantin des Hebbel-Theaters. Der „Tanz im August“ ist das größte deutsche Tanzfestival – es müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Die anhaltende Ungewissheit schadet dem Tanz und ist blamabel für Berlin.

In Kooperation mit dem Tagesspiegel begleiten junge Kulturjournalisten das Festival Tanz im August – hier geht es zum Blog: www.tanzimaugust-blog.de

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