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Groteske Auswüchse. Konkurrenz, Sexismus und Wut bestimmen die Szenerie von „El Baile“. Am Ende verlesen die Tänzerinnen und Tänzer eine aktuelle Resolution.

© Christophe Martin

Tanz im August: Im Salon der verlorenen Paare

Argentinische Geschichte, erzählt durch Tango: Mathilde Monnier und Alain Pauls zeigen „El Baile“ beim „Tanz im August“.

Von Sandra Luzina

Erst ganz zum Schluss erklingen wehmütige Bandoneonklänge. „El Baile“, zu sehen beim „Tanz im August“, ist alles andere als eine Tango-Show. Die französische Choreografin Mathilde Monnier hat das Stück gemeinsam mit dem argentinischen Schriftsteller Alain Pauls und zwölf Tänzern aus Buenos Aires erarbeitet. Ihr Projekt ist durchaus ambitioniert: Sie wollen über die jüngste Geschichte Argentiniens erzählen, ausgehend vom Jahr 1978, in dem die Fußball-WM stattfand und die Militärjunta regierte. „Unsere Logik ist die Krise“, beschreibt Alain Pauls die Lage. „Alle vier bis fünf Jahre setzt eine neue Krise ein.“ Wie die permanente Krise den Körper affiziert, zeigt das Stück fast ohne Worte.

Anregt ist „El Baile“ von dem französischen Theaterspektakel „Le Bal“, das durch die Verfilmung von Ettore Scola bekannt wurde. Doch „El Baile“ verzichtet auf alle Nostalgie und hat einen viel garstigeren Humor. Die Tänzerinnen stöckeln auf goldenen Sandaletten auf die Bühne des Hauses der Berliner Festspiele und nehmen auf den gegenüberliegenden Stuhlreihen Platz, so als ob sie gleich zum Tanz aufgefordert werden. Doch der Ball findet nicht statt. Mathilde Monnier verweigert sich aller Tangoseligkeit. Die Tänzer graben in ihren Erinnerungen, markieren ein paar Cha-Cha-Cha- Schritte oder stimmen ein altes Lied an. Ein dunkellockiger Macho in Fußballshorts kreist provozierend mit dem Becken. Doch hier finden keine Paare mehr zusammen.

Unerbittlich wird einer nach dem anderen ausgemustert

Dann vertauschen die Tänzer die Ballschuhe gegen Turnschuhe und verausgaben sich in einer Art Work-out. Auch Anleihen beim Breakdance gibt es, doch die wirken eher müde. Die Fitness-Manie trifft auf dann auf Pornoposen. Zu einer Radiocollage mit populären Songs stellen die Tänzer sich an der Rampe auf, sie tanzen einen aufreizenden Salsa und konkurrieren um die schärfste Darbietung. Männer und Frauen tragen hier ihre Haut zu Markte. Die Bewegungen sind so krass überzeichnet, dass es schon wieder komisch ist. „El Baile“ ist vor allem eine Sexismuskritik, die politischen Bezüge lassen sich oft nicht erkennen. Das Stück wird immer mehr zur Groteske. Monnier und Pauls wollen auch zeigen, welche Spuren die Militärdiktatur in Seele und Körper hinterlassen hat. Die Tänzer stolpern verstört über die Bühne, stoßen Tierlaute aus. Sie manipulieren und malträtieren einander. An ein Casting erinnert die Szene, in der die Performer einen Gauchotanz ausführen. Unerbittlich wird einer nach dem anderen von dem Tanz-Captain ausgemustert.

Gegen Ende schiebt endlich ein Paar zu melancholischen Tangoklängen über die Bühne. Aus der Zweierkonstellation wird eine ganze Bewegung. Eine nach der anderen hängen sich die Tänzerinnen an die erste Dame und multiplizieren ihre Schritte. Die schubst ihren Partner fort, übernimmt das Führen – und stößt auch mehrere Frauen von sich. Der Tango ist kein Band mehr, das alle verbindet.

Die Vergangenheit aufarbeiten

Mathilde Monnier und Alain Pauls entwerfen in „El Baile“ ein kritisches Bild von Argentinien, bleiben aber manchmal im Plakativen stecken. Zum Schluss verlesen die Tänzer noch eine Protestnote. Sie erinnern an den linken Aktivisten Santiago Maldonado, der nach einem Polizeieinsatz in Patagonien spurlos verschwunden ist. Und sie protestierten gegen Darío Lopérfido, den Kulturattaché der argentinischen Botschaft in Berlin. Der ehemalige Minister für Kultur in Buenos Aires stand wegen seiner Äußerungen zu den „Desaparecidos“ während der Zeit der Militärdiktatur heftig in der Kritik. Er hatte die Zahl von 30 000 „Verschwundenen“ angezweifelt und stattdessen von 8000 gesprochen. Der umstrittene Politiker wurde in diesem Jahr nach Berlin entsandt – der Posten eines Kultursonderbotschafters wurde eigens für ihn geschaffen. Die Tänzer fordern nun, Lopérfido solle aus Berlin abgezogen und nach Buenos Aires zurückgeschickt werden. Wie man sieht, ist die Aufarbeitung der Vergangenheit noch lange nicht abgeschlossen.

Das Festival läuft noch bis zum 2. September. Infos unter www.tanzimaugust.de

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