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Ganz entspannt. Hermann Heisig ist seine Experimentierfreude nicht anzusehen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Tanz im August: Tänzer Hermann Heisig: Das Lachen des Körpers

Hermann Heisig ist ein schlenkernder Schlaks – und ein Nachwuchsstar der Berliner Tanzszene. Sein Stück läuft beim Festival Tanz im August, das am Freitag beginnt.

Hermann Heisig sieht nicht aus wie ein Tänzer, ist aber trotzdem einer. Er sagt: „Für mich bedeutet Virtuosität, wie gut ich mit dem umgehen kann, was ich habe.“ Heisig hat 1,95 Meter Schlaksigkeit, schlenkernde Arme und Beine, einen schmalen Kopf und einen langen Hals. Keine Tänzerstatur. Und doch ist er eines der vielversprechendsten Talente, die die freie Berliner Szene gerade zu bieten hat. Vielleicht auch gerade wegen dieses Körpers. Und weil er Humor hat. Den haben nicht viele.

Natürlich, sein Körper ist dabei hilfreich. Wenn Heisig auf der Bühne steht, im Profil zum Publikum, die Hüfte ist nach vorne geschoben, die Wirbelsäule hängt durch, das Kinn reckt sich, dann sieht das schon unfreiwillig komisch aus. Aber der 30-Jährige ist nicht nur ein körperlicher, sondern ebenso ein intellektueller Mensch. Er beschäftigt sich auch theoretisch damit, wann eine Bewegung lustig ist und wann nicht. „Komik entsteht zum Beispiel aus Steifheit“, sagt er, „aus der Unfähigkeit, mit dem Fluidum des Lebens umzugehen, wie der französische Philosoph Henri Bergson in seinem Essay über das Lachen geschrieben hat.“ Also zum Beispiel im Unvermögen, einen Liegestuhl aufzuklappen.

Manchmal ist Heisig selbst der Liegestuhl. Etwa, wenn er wie in dem Stück „Pongoland“ von 2008 zögernd versucht, mit dem Tänzer Nuno Lucas zu einer Einheit zu verschmelzen – er, der lange Lulatsch und der kleine, stämmige Portugiese, der ihm gerade bis zu den Schultern reicht. In Heisigs nächstem Solo wird es um Slapstick gehen, Premiere ist im Februar in den Sophiensälen.

Zwei Männer in Luftballons

Doch der gebürtige Leipziger kann auch ernst. Er tanzte unter anderem für die Choreografin Meg Stuart und stand als Tänzer mit Corinna Harfouch auf der Bühne, als diese Marguerite Duras’ „Schmerz“ inszenierte. Heisig kann unkontrolliert zucken und zappeln, die Augen entrückt nach oben drehen, hilfesuchend ins Leere tasten. All das berührt.

Häufig stellt Heisig sich und seinen Mittänzern knifflige Aufgaben, die es physisch zu bewältigen gilt. So klettern im aktuellen Stück „A Coming Community“ zwei Tänzer in Luftballons, zwei weitere müssen ihnen helfen und gleichzeitig mit einem Handgebläse die mannshohen Hüllen aufpusten. Jedes Mal steckt darin ein Risiko. Platzt der Ballon? Bewegt sich einer der Tänzer so sperrig, dass man nicht mehr mit dem Gebläse hantieren kann? Neben dem Belgier Pieter Ampe und dem Portugiesen Guilherme Garrido ist auch Heisigs künstlerischer Weggefährte Nuno Lucas dabei. Das Quartett feiert seine Deutschlandpremiere beim Festival Tanz im August, das an diesem Freitag eröffnet, mit der Produktion „Mirror and Music“ des japanischen Altmeisters Saburo Teshigawara im Haus der Berliner Festspiele.

In „A Coming Community“ treffen vier Künstlerpersönlichkeiten erstmals aufeinander. Dabei geht es um mehr, als ein gemeinsames Produkt für die Bühne zu entwickeln. Wie bildet man eine Gemeinschaft? Wann muss man auf die anderen zugehen, wann muss man sich gegenseitig überreden, damit etwas Gemeinsames entstehen kann? Und: Muss eine gelungene Zusammenarbeit bedeuten, dass alle glücklich sind? Natürlich ist „A Coming Community“ eine Reflexion über choreografisches Arbeiten, aber es passt auch in unseren Alltag, in einer Zeit, in der jeder nach seinen individuellen Zielen strebt, Kompromisse scheut und sich im Internet selbst inszeniert.

Wie wird aus Sprache Bewegung?

Offenbar sind Heisig, Ampe, Garrido und Lucas nicht die Einzigen, die das spüren. Mehrere Produktionen drehen sich um das Thema Gemeinschaftsbildung bei der diesjährigen Ausgabe von Tanz im August, zu der 30 Produktionen aus 19 Ländern eingeladen sind. So verarbeitet die Gruppe Chatha um die tunesisch-französischen Choreografen Aïcha M’Barek und Hafiz Dhaou die jüngsten Ereignisse des Arabischen Frühlings. Juan Dominguez lässt die Zuschauer den Verlauf der Inszenierung online beeinflussen. Ein zweiter Themenkomplex widmet sich dem Verhältnis von Sprache und Bewegung. Die Belgierin Lisbeth Gruwez steigert sich zur Rede eines ultrakonservativen Fernsehpredigers in eine tranceartige Choreografie. Der britisch-bengalische Künstler Akram Khan vertanzt eine Legende aus dem indischen Nationalepos Mahabharata. Auch andere namhafte Künstler wie Jan Fabre, Benoît Lachambre oder Deborah Hay stellen neue Arbeiten vor.

Klingende Namen gibt es auch in Heisigs Familie. Sein Vater ist der bekannte Maler Johannes Heisig, sein Großvater Bernhard Heisig war einer der wichtigsten bildenden Künstler der DDR und Mitbegründer der Leipziger Schule. Natürlich wurde Hermann auf Vernissagen immer wieder gefragt, ob er nicht auch Maler werden wolle. „Eine Zeitlang habe ich sogar ja gesagt“, erinnert sich der Tänzer. Aber da war er noch ein Kind. Heute ist er froh, den Tanz für sich entdeckt zu haben. Eher zufällig. „Ich hatte mit Sport oder Fitness nie etwas zu tun“, sagt er. „War langsam, habe viel gelesen und nachgedacht.“ Sein Körper war ihm fremd. Und doch faszinierte ihn mit 15 Jahren ein Wettbewerb um „das beste Tanzsolo“ auf dem Festival Euro-Scene in seiner Heimatstadt Leipzig.

Die Idee stammt vom belgischen Choreografen Alain Platel: Jeder, egal welchen Alters und tänzerischer Vorbildung, ist eingeladen, auf einem Tisch mit acht Metern Durchmesser eine Tanzeinlage aufzuführen. „Diese Offenheit gefiel mir, das hatte ich vorher noch nicht erlebt.“ Heisig stellte sich in goldenem Fummel auf den Tisch, noch etwas irritiert von den anderen Anwärtern, die sich hinter der Bühne professionell aufwärmten, und legte los. Die Resonanz war so positiv, dass er von nun an öfter in Leipziger Clubs und Kunsträumen kleine Solostücke aufführte.

Ein Blog begleitet das Tanzfestival

2000 kam er nach Berlin, zwei Jahre später begann er eine Ausbildung zum Bühnentänzer an der Schule „Die Etage“. In den täglichen Ballettstunden zweifelte er, ob er das Richtige tat und genoss zugleich die Herausforderung, sich in diese Welt mit ihren Pliés und Arabesken einzufuchsen. Heute mag er am Tanz das Spielerische, das Regellose: „In jeder Millisekunde kann sich eine Bewegung anders entwickeln“, sagt er. „Ob ich aber Choreograf und Tänzer bleibe, bis ich alt bin, weiß ich nicht.“ Das gefällt dem Künstler an seiner Kunst: Sie franst nach allen Seiten aus, Richtung Theater und Performance. Nur eines sei sicher, sagt Heisig: „Ich werde immer etwas mit meinem Körper machen.“

„A Coming Community“ läuft vom 16. bis 18. August im HAU 3. Das Festival findet vom 10. bis 25. August u. a. in HAU, Haus der Berliner Festspiele und Podewil statt. Programm: www.tanzimaugust.de. Unter www.tanzimaugust-blog.de begleiten junge Kulturjournalisten ab Freitag das Festival. Der Blog ist eine Kooperation mit dem Tagesspiegel und der Zeitschrift „tanz“.

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