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Sei Lady, sei Gentleman. Pierre Dulaine beim Tanzunterricht in einer Schule in Jaffa.

© MFA Film

Tanzen für den Frieden: Fass’ deinen Feind an: Pierre Dulaine und der Film "Dancing in Jaffa"

Pierre Dulaine ist ein Weltstar im Gesellschaftstanz. „Dancing in Jaffa“ zeigt, wie er jüdische und arabische Kinder zusammenbringt – nicht nur fürs Kino.

Nein, das lässt er nicht gelten. Jungen, die nur mit Jungen, aber nicht mit Mädchen tanzen wollen. Kinder, die ihre Ärmel zwanghaft über die Hände ziehen, um ja nicht die verhasste Haut ihres Tanzpartners zu spüren. Menschen, die keine Achtung vor sich und anderen haben. Einen Körper, der sich nicht um aufrechte Haltung bemüht. Ein Gegenüber, dessen Wasserglas leer ist. Pierre Dulaine schenkt nach, sofort.

Die Kellnerin im vormittäglich verwaisten Restaurant des Park Inn Hotels am Alexanderplatz ist ihm sofort verfallen. Es gebe um diese Zeit aber wirklich nur Getränke, mahnte sie noch vor einer halben Stunde, jetzt weht sie mit strahlender Miene am Tisch vorbei. „So ein schönes Lächeln“, sagt Pierre Dulaine. Das lässt er gelten. Das ist es, was er sehen will. Das ist, wie er die Menschen haben will: freundlich, respektvoll einander zugewandt. Egal ob Kellner, Tänzer, reiche oder arme, jüdische oder palästinensische Kinder. Ihnen tritt der 69 Jahre alte Charismatiker aus New York so sonnig wie streng entgegen. Als Tanzlehrer in der Dokumentation „Dancing in Jaffa“ der Filmemacherin Hilla Medalia.

Die Bezeichnung Tanzlehrer stapelt allerdings etwas tief. In der parfümierten Welt des Gesellschaftstanzes ist Pierre Dulaine eine Legende. Als Turniertänzer war er viermal Weltmeister, gründete die „American Ballroom Theater Company“, tanzte in Broadway-Shows und lehrte an Hochschulen. Die New Yorker High Society ließ sich und ihren verwöhnten Sprösslingen in seinem Studio Tango und Walzer beibringen. Und seine ehrenamtliche Bildungsarbeit für weniger privilegierte Kinder hat bereits zwei andere Filme inspiriert: die Dokumentation „Mad Hot Ballroom“ (2005) und den Spielfilm „Dance!“ (2006), in dem Antonio Banderas Pierre Dulaine spielt. Auch in Berlin sei er im Laufe seiner 1970 gestarteten Tänzerkarriere mehrfach aufgetreten, erzählt er. Zum ersten Mal 1986 in der Akademie der Künste West. Später auch in der Tanzschule Keller, um den Profis auf Einladung des Tanzlehrerverbandes angesagte amerikanische Tanzstile vorzuführen.

Kuriose, rührend hoffnungsvolle Bilder in einem Klima des Hasses

Seit letztem Sommer ist er im Ruhestand und widmet sich nur dem vom ihm gegründeten Projekt, das er jetzt auch in die israelische Hafenstadt Jaffa gebracht hat: „Dancing Classrooms“. Der sich hier zwischen der Bevölkerungsmehrheit der jüdischen und der Minderheit der palästinensischen Israelis ballende, soziale, religiöse, politische Sprengstoff ist in den fast zu schönen Bildern der Feel-Good-Doku zwar nur angerissen, aber in den skeptischen Gesichtern der Eltern, denen Dulaine sein Vorhaben erklärt, gerinnen alle Verheerungen des Nahostkonflikts.

„Es ist schwer für sie“, sagt Dulaine im Film denn auch über die gegenseitigen Vorbehalte der Kinder, die ihn mehrfach dazu bringen, den Unterricht wütend abzubrechen, „schließlich bitte ich sie, mit ihrem Feind zu tanzen.“ Von der natürlichen Scheu zwischen zehn, elf Jahre alten Mädchen und Jungen und den unterschiedlichen Tanztraditionen westlich orientierter Juden und den Paartanz ablehnender Muslime mal ganz zu schweigen. Keins der Vorurteile lässt Dulaine an den fünf beteiligten Schulen gelten und schafft es tatsächlich, 125 von 150 Kindern bei der Stange zu halten. Beim finalen Tanzturnier der Schulen sitzen leicht geschürzte Jüdinnen neben Araberinnen im Hijab und fotografieren die Tänzer. In diesem Klima des Hasses und Misstrauens ein kurioses, rührend hoffnungsvolles Bild. Die sich als zweitklassig empfindenden Palästinenserkinder wie die Halbwaise Noor und der arme Alaa haben nach zehn Probenwochen begonnen zu leuchten und jüdische Freunde gewonnen.

Trotzdem: Ist Kindertanz nicht ein reichlich naiver Ansatz, den Nahostkonflikt zu lösen? Pierre Dulaines Gesichtssonne erlischt. Das sei nicht seine Absicht, sagt er streng, politische Konflikte müssten Politiker lösen. Ihm gehe es nur um die Kinder. „Der Tag, an dem ein arabisches Kind ein jüdisches berührt, ändert schon etwas.“ Er glaubt daran, dass sich zwei Menschen beim Tanzen besonders gut kennenlernen. Führen und Folgen erforderten Respekt und Vertrauen. Haltung, Auftreten, Weltanschauung, kurz: Der ganze Mensch ändere sich.

Irgendwann kommt jeder an den Punkt, wo er der Gesellschaft etwas zurückgeben will

Die charakterbildende Kraft des Tanzens hat Pierre Dulaine am eigenen Leib erfahren. Er wurde 1944 in Jaffa als Sohn einer katholischen Palästinenserin und eines protestantischen Iren geboren. 1948 musste die Familie während des Palästina-Krieges zusammen mit 70 000 anderen Palästinensern aus der Stadt fliehen. Und aus der nächsten Heimat Amman in Jordanien flüchteten sie 1956 wegen der Suezkrise ins britische Birmingham. Da war Pierre Dulaine 14 und hatte auf dem Schulhof nichts zu lachen. „Es waren die späten Fünfziger, ich sprach Englisch mit arabischem Akzent, ich war der Fremde, noch dazu sehr schüchtern.“ Bis ihn eine Mitschülerin zum ihm bis dahin völlig unbekannten Ballroom-Dancing mitnahm...

Irgendwann komme doch für jeden der Punkt, wo er der Gesellschaft etwas zurückgeben wolle, sagt Dulaine, für den gut sein wollen und Gutes tun offensichtlich kategorischer Imperativ ist. „Ich mache das durch den Tanzunterricht.“ Seit 20 Jahren schon, eben mit „Dancing Classrooms“. Was an den öffentlichen Schulen der damals berüchtigten New Yorker Bronx als Lektion für Ghettokids begann, ist inzwischen eine USA-weit arbeitende Non-Profit-Organisation mit Ablegern in Kanada, der Schweiz, Jordanien und eben in Israel. 400 000 Kinder haben das halb von den beteiligten Schulen und halb durch Spenden finanzierte Programm bereits durchlaufen. Dulaines Lehrer unterrichten nicht nur Tänze, sondern auch deren Kulturgeschichte und damit auch Geografie und Musik. „Vor allem bringen wir den Kindern bei, Ladys und Gentlemen zu sein und wir behandeln sie auch so.“

Vom Slogan „You can change your life in a dance class“, der 2004 aus der gefeierten Tanzdoku „Rhythm is it“ über ein Jugendprojekt der Berliner Philharmoniker mit Royston Maldoom und Simon Rattle ins kollektive Bewusstsein geschwappt ist, hat er übrigens nie gehört: „Kenne ich leider nicht, aber dem Satz stimme ich zu“. Daniel Barenboims 1999 mit israelischen und palästinensischen Musikern gegründetes West-Eastern Divan Orchestra – die andere Assoziation, die sich sofort zu „Dancing in Jaffa“ einstellt – ist ihm dagegen bekannt. Mit denen würde er gern mal zusammenarbeiten. „Wenn es nicht zu vermessen ist, sie dem Druck auszusetzen, Cha-Cha-Cha spielen zu müssen.“

Ab Donnerstag OmU im Capitol, Delphi, Filmkunst 66, FT am Friedrichshain, Hackesche Höfe, International, Rollberg

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