zum Hauptinhalt

Kultur: Tanzende Lettern

Wie zum Nachsitzen verdonnert fühlt man sich zunächst bei der neuen Produktion von Jo Fabian.Nun hat man die Alphabetisierung erfolgreich hinter sich gebracht, da soll man nun zusätzlich auch noch ein "Alphasystem" erlernen.

Von Sandra Luzina

Wie zum Nachsitzen verdonnert fühlt man sich zunächst bei der neuen Produktion von Jo Fabian.Nun hat man die Alphabetisierung erfolgreich hinter sich gebracht, da soll man nun zusätzlich auch noch ein "Alphasystem" erlernen.Dem komplexen Netzwerk von Zeichensystemen, in dem wir uns bewegen, möchte Fabian noch ein neues hinzufügen.Seiner Inszenierung "Blown away" im Theater am Halleschen Ufer schickt er deshalb zunächst eine Gebrauchsanweisung voraus.

Die Aufführung - so instruiert ein Text auf Videoleinwand das Publikum - sei ein vorläufiges Resultat eines Forschungsprojektes mit dem Ziel, das Alphabet der Schrift in tänzerische Bewegung zu übersetzen.Tolle Aussichten: Demnächst wird Fabian also Rilke-Gedichte vertanzen lassen.Doch damit nicht genug! Zusätzlich zur Darstellung flimmern grafische Symbole über die Videoleinwand, die man anhand von ausgehändigten Karten entziffern kann.Diese langatmige Abhandlung postuliert in Fettdruck: "Das Alphasystem erfordert eine Benutzung im intelligenten Modus." Aus diesem Szenario läßt sich der Schluß ziehen: Jo Fabian ist ein Künstler, der sein Publikum beileibe nicht für dumm verkauft, sondern auf intelligente Weise verschaukelt.Nun wurde niemand gesichtet, der sich anhand der Karten ans lustige Decodieren machte.Die Bildungskampagne von Fabian mag an der Cleverness des Publikums scheitern, vielleicht haben sich die Zuschauer aber schon längst daran gewöhnt, nicht mehr zu verstehen.Doch Fabian will Aufklärungsarbeit leisten.Seine Produktion mit dem Untertitel "The invisible homepage of T.Rex" feiert nicht nur ein Revival der Glam-Rock-Band, sondern gibt sich zudem als Reflexion über den "Informationsverlust im Informationszeitalter" aus.Ein theoretisches Gestrüpp schiebt sich vor die vier Tänzerinnen, dabei sind sie der Mittelpunkt der Inszenierung.

Bei Fabian wird getanzt wie lange nicht mehr.Die Girls sehen ganz schön hip aus.Hängerkleidchen überm hervorblitzenden schwarzen Spitzen-BH, kommen sie auf klobigen Plateausohlen daher.Die einzelnen Bewegungen, deren Charakter mal ornamental, mal schlicht funktional ist, werden einfach aneinandergereiht, sie werden gänzlich ausdruckslos in gleichbleibendem Tempo getanzt.Einmal in Gang gesetzt, spult sich der Tanz unaufhaltsam und unerbittlich ab.Fabian verpflichtet seine Darstellerinnen auch diesmal wieder zu Uniformität und folgt dabei der Theater-Erkenntnis: Durch Gleichschritt und gleichen Look lenkt man den Blick auf individuelle Besonderheit.Videospielereien stellen Pop-Klischees aus, dunkle Tänzerinnensilhouetten bewegen sich vor orange-gelben Meeresgewoge.

Die Musik-Collage traktiert mit Samples und Loops, zwischendurch darf man sich bei T.- Rex erholen.Tanz-Musik-Video mit ihren bits und pieces laufen in modischer Beliebigkeit nebeneinander her.Wenn die Abläufe in ihrer gnadenlosen Stilisierung sich als störungsanfällig erweisen, die Darstellerinnen aus der Rolle fallen - dann arbeitet Fabian auch diesmal wieder mit kalkulierten Irritationen.Alphasystem, Rilke und T.Rex feiern ein fröhliches Miteinander, der Befund könnte mit dem Titel einer anderen Fabian-Produktion "Alzheimer light" lauten.Doch sein Hang zum Nonsens bricht sich bei all der angewandte Zeichentheorie und Medienforschung nicht bühnenwirksam Bahn.So wird der (Meta-)Ironiker Fabian diesmal Opfer seiner eigenen Gewitztheit.

Noch vom 20.- 24.Januar im Theater am Halleschen Ufer, jeweils 21 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false