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Tanzfestival Movimentos: Liebesgrüße aus Havanna

Das Festival Movimentos in Wolfsburg wird zehn Jahre alt. Eines der Highlights zum Jubiläum ist das Gastspiel der Danza Contemporánea. Ein Besuch bei der kubanischen Compagnie.

Von Sandra Luzina

Wer George Céspedes auf die Palme bringen will, muss ihn nur bitten: Beweg’ dich wie ein Kubaner! Der 32-Jährige, der einen Bart à la Che Guevara trägt, ist einer der herausragenden Tänzer von Danza Contemporánea de Cuba und feiert auch Erfolge als Choreograf. Die kubanische Vorzeigetruppe genießt einen exzellenten Ruf, war aber bislang nur ein einziges Mal in Deutschland zu sehen, 1980 in Rostock. Mit ihrem Mix aus zeitgenössischem Tanz und afro-karibischen und spanischen Elementen gastiert sie nun bei Movimentos in der Autostadt in Wolfsburg – zum zehnten Geburtstag des internationalen Festivals.

Die Probenräume der Compagnie erreicht man über den Seiteneingang des Teatro Nacional an der Plaza de la Revolución in Havanna, wo der Papst dieser Tage eine Messe abgehalten hat. Vor dem Eingang sitzt eine ältere Frau und verkauft selbst gebackenen Kuchen – natürlich braucht sie in Castros Kuba eine Lizenz dafür. Die Büros sind spärlich möbliert, alles wirkt etwas heruntergekommen. In gutem Englisch schildert George Céspedes seinen Werdegang. Er kommt aus Holguín, wo vor allem spanischstämmige Kubaner leben. „Dort hört man keinen Rumba.“ Dann lästert er munter über das Ballet Nacional, das als eine Art Nationalheiligtum gilt. Und ist erstaunlich gut informiert über das, was außerhalb von Kuba passiert – Sasha Waltz kennt er natürlich. „Als kubanischer Choreograf kann ich raus und die Welt sehen.“

Dabei begreift er sich, so sagt er, weniger als Choreograf denn als DJ. Und erzählt, wie es dazu kam, dass er „Mambo 3 XXI“ kreierte. Mambo an sich sei ja fucking commercial. Mit seinem Stück aber wolle er den Kuba-Klischees auf den Leib rücken. Dafür ließ er eine Komposition von Mambo-King Pérez Prado durch das junge Elektronik-Duo Nacional Electrónica bearbeiten, das als Wegbereiter eines neues Sounds gilt.

Und wie geht der Mambo des George Céspedes? Zunächst bewegen sich die Tänzer im Gleichschritt – wie bei einer Parade. Eine disziplinierte Masse. Doch dann treten Einzelne hervor, und die Energien explodieren. Auch die Paartänze wirken furios: Die Sinnlichkeit und Lebenslust, die sich im Tanz der jungen Kubaner ausdrücken, sind hinreißend. „Mambo 3XXI“ handelt von der Entdeckung der Individualität – eine euphorisierende Erfahrung.

Rund 50 Tanzcompagnien soll es auf Kuba geben, vom Staatsballett bis zu kleinen experimentellen Gruppen. Die Tänzer von Danza Contemporánea de Cuba sind gleich zweifach privilegiert. Sie erhalten auf ihren Auslandstourneen Devisen, davon können sie sich auch mal einen MP3-Player leisten. Und sie gehören einer vitalen Truppe an, die stilistisch neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen ist.

Schon seit Ende der neunziger Jahre lädt sie regelmäßig europäische Choreografen ein. Dass die Kubaner sich in unterschiedlichen Idiomen auskennen, wird auch bei den Stücken erkennbar, mit denen die Compagnie demnächst beim Movimentos-Festival gastiert. Neben „Mambo 3XXI“ wird „Demo-N/crazy“, eine sinnlich aufgeladene Arbeit des Spaniers Rafael Bonachela gezeigt. Besonders reizvoll wirkt auch die ironische Carmen-Dekonstruktion des Schweden Kenneth Kvarnström – wenn die temperamentvollen Kubaner sie tanzen.

Miguel Iglesias Ferrer, der 1975 als Tänzer zur Compagnie kam, ist in Kuba ein höchst respektierter Mann. In einer chaotischen Übergangsphase wurde er zum Direktor berufen und wollte den Job eigentlich nur zwei Jahre machen. Schließlich war es, wie er bekennt, eher sein Traum, „auf der Bühne zu sterben.“ Doch nun hat er mit Geschick ein Ensemble aufgebaut, das die besten Tänzer Kubas versammelt und über ein vielfältiges Repertoire verfügt.

Der Staat finanziert die Truppe, „aber wir haben nie Geld“, sagt Ferrer. Doch gelingt es ihm immer wieder, Mittel zu akquirieren – etwa beim Rum-Hersteller Havana Club. Und: Ferrer besucht die Ballettschulen in allen Provinzen, immer auf der Suche nach neuen Talenten. „Ich brauche Individuen“, betont er genau wie Céspedes. Doch auch der kollektive Zusammenhalt ist ihm wichtig. „Ich will die Compagnie stimulieren und motivieren“, sagt Ferrer. Danza Contemporánea sei wie eine große Universität, in der seine Tänzer verschiedene künstlerische Sprachen erlernen. Dabei setzt Ferrer statt auf fertige Stücke auf Kreationen, die für seine tollen Tänzer maßgeschneidert erscheinen.

Auf Politik angesprochen, lässt er sich allenfalls entlocken, dass das Kulturministerium ihm nie in seine Arbeit hineingeredet habe. Nur wenn die Sprache auf den Klassenfeind USA kommt, gerät er mächtig in Rage. „Die glauben, dass ihnen die Welt gehört.“

Vergangenes Jahr trat seine Compagnie in New York auf, erstmals seit ihrer Gründung im Revolutionsjahr 1959 – ein großer Erfolg. Doch wegen des Embargos durfte den Tänzern kein Honorar gezahlt werden, sie erhielten 60 Dollar am Tag fürs Essen. „Unter diesen Bedingungen“, sagt Ferrer, „gehe ich nicht mehr in die USA.“

Und dann ist da der in Amsterdam lebende Israeli Itzik Galili. Er erarbeitet gerade ein Stück zu der Komposition „Drumming“ von Steve Reich, finanziert vom britischen Dance Consortium, und ist von den, wie er sagt, „erfahrungshungrigen“ Tänzern begeistert. Sein Stück ist provokativ – nicht nur, weil Männer und Frauen Boxhandschuhe tragen. Doch bei den Proben geht es eher zart zu, die Tänzer nehmen sich immer wieder in den Arm. „Die Kubaner sind Verführer“, sagt Galili lächelnd.

Derweil lässt sich die Ikone des kubanischen Balletts im Gran Teatro feiern. Bei einer Gala zum 50-jährigen Jubiläum der Staatlichen Ballettschule danken die Absolventen artig der 91-jährigen Alicia Alonso. Die Fidel-Freundin ist seit 1959 Direktorin des Ballet Nacional de Cuba, dabei ist sie schon seit langem erblindet. Eine Symbolfigur für die alte Garde in Politik und Kultur, die nicht abtreten will. Und es ist weit und breit niemand da, der der Compagnie neuen Geist einhauchen könnte. Alonsos Ballett „Die Zauberflöte“ ist denn auch nicht mehr als ein Staubfänger.

Wenn man mit Einheimischen spricht, bestätigen alle: Die Jugend will Veränderung. Ideologie spielt für sie keine Rolle mehr. Die Absolventen vom Ballett Nacional finden meist schnell ein Engagement im Ausland. George Céspedes aber beteuert, er wolle seine Heimat nicht verlassen. Nicht alle Talente suchen das Weite. Das lässt hoffen für die Zukunft Kubas.

Danza Contemporánea de Cuba zeigen Choreografien von Rafael Bonachela, Kenneth Kvarnström und George Céspedes. (25.-28. 4.) Die 10. Movimentos-Festwochen laufen bis zum 20. Mai. Zu den weiteren Highlights des Tanzprogramms gehören Sidi Larbi Cherkaoui – mit „TeZukA“, das vom japanischen Manga-Künstler Osama Tezuka inspiriert ist (18.-20. 4., 20 Uhr im Kraftwerk). Das Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan zeigt als Europapremiere Lin Hwai-mins Choreografie „Water Stains on the Wall“ (10.-13. 5., 20 Uhr im Kraftwerk). Info: www.movimentos.de

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