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Auf Afrika stehen. Die Performance „Banana Republics – Here Be Dragons“.

© Eric Wurtz

Tanzfestival "Return to Sender" im HAU: Bis die Späne fliegen

Sechs Choreografen aus afrikanischen Ländern zu Gast in Berlin: Das Tanz- und Performancefestival „Return to Sender“ im HAU reflektiert den Kolonialismus.

Von Sandra Luzina

Seinen offenen Brief hat der südafrikanische Choreograf Boyzie Cekwana an „YouRope“ adressiert. Darin schreibt er: „Wir sind hier, um festzustellen: Unser Erbe ist eines der Armut, der Verschleppung und der Gewalt, während bei Dir von Generation zu Generation unverdiente Privilegien und Vorteile weitergereicht werden.“ Und er beschwört, anspielend auf die „Festung Europa“, ein Angstszenario: „Klopf, klopf! Die Geister stehen vor der Tür. Das Gespenst einer Vergangenheit, die nicht vergehen will.“

Postkolonialismus ist derzeit ein virulentes Thema in Berlin. Künstler unterschiedlicher Provenienz haben jüngst an die Berliner Konferenz von 1884 erinnert, bei der die Kolonialmächte den „Schwarzen Kontinent“ unter sich aufteilten. Auf das berüchtigte Gipfeltreffen beziehen sich auch einige der Künstler, die beim Festival „Return to Sender“ gastieren. Das HAU hat Choreografen aus sechs afrikanischen Ländern eingeladen, ihren eigenen Blick auf die Geschichte und auf den Körper zu präsentieren. Der Kurator Ricardo Carmona hat sich zudem eine besondere Geste einfallen lassen: Panaibra Canda, Boyzie Cekwana, Addisu Demissie, Adham Hafez, Faustin Linyekula und Bouchra Ouizguen konnten ihrerseits einen weiteren Künstler aus ihren Heimatländern nach Berlin einladen. Zurück an den Absender: Die Künstler zeigen nicht nur Performances, sie haben auch wirklich Briefe geschrieben, die man im Magazin nachlesen kann, und die die Dringlichkeit ihrer Forderungen unterstreichen.

Die Kolonialmächte als Witzfiguren

Eröffnet wurde das Festival mit der Performance „Banana Republics – Here Be Dragons“, die Boyzie Cekwana zusammen mit der Dänin Nina Støttrup Larsen entwickelt hat. Die beiden wählen ein Reality-TV-Setting, um die Folgen der Berliner Konferenz zu vergegenwärtigen. Anfangs schminken Cekwana und drei weitere Performer sich ein weißes Clownsgesicht. Die Kolonialmächte als Witzfiguren in schwarzen Anzügen: Wenn die vier Gericht halten, ist das eine Farce. Doch das Clownsspiel wirkt erstaunlich brav.

Mit Klebeband werden willkürlich Demarkationslinien im Hebbel-Theater gezogen. Mehrmals wird das Lied „Zehn kleine Negerknaben“ dargeboten – auch in einer Disco-Version. Um die Kontinuität kolonialen Denkens zu demonstrieren, taugt aber auch ein läppisches Spiel mit Zuschauern nicht. An Schärfe gewinnt der Abend, wenn die Machtpolitik mit der Motorsäge veranschaulicht wird. Torsten Schütte springt auf den Holztisch, der den Umriss Afrikas hat, und zerlegt das Möbel mit brachialer Lust bis die Späne fliegen. Stark ist auch die Szene, in der Cekwana versucht, sich innerhalb der Markierungen zu bewegen. Sein Körper will partout nicht in die willkürliche territoriale Ordnung hineinpassen.

Auch die Frage nach der Wiedergutmachung für die kolonialen Verbrechen wird an diesem Abend aufgeworfen. Auf den Monitoren an der Wand wiederholen sich Ansprachen von europäischen Politikern, die ohne Ton gezeigt werden. Der Bildschirmtext ist freilich ein Fake: Weder Merkel noch Rajoy haben sich entschuldigt. Cekwana lässt keinen Zweifel, dass wir die Bananenrepublik sind.

Aus der Tiefe steigen raue Laute auf

Die marokkanische Choreografin Bouchra Ouizguen hat schon in „Madame Plaza“ mit drei Aïtas gearbeitet: Diese Frauen treten auf Hochzeiten auf oder in Nachtclubs, sie werden bewundert und verachtet. In „Ha!“ steht sie selbst mit vier älteren Frauen auf der Bühne. Zuerst hört man sie nur: Ein rhythmisches Atmen, dann steigen raue Laute aus der Tiefe auf, steigern sich zu gellenden Schreien. Die fünf stacheln sich gegenseitig auf in ihrem Wechselgesang und tanzen sich in Ekstase. Die Choreografin hat sich vom dem persischen Dichter Rumi anregen lassen, aber ob es sich hier um Sufi-Mystizismus, gar um ein Eintauchen in den Wahnsinn handelt, ist nicht auszumachen. Doch den resoluten Frauen, die über ein eigenes Wissen und eigene Ausdrucksformen verfügen, sieht man gebannt zu.

Überaus bewegend war das „Solo für Maria“, dass Panaibra Canda aus Mosambik für Maria Tembe, eine beinamputierte Tänzerin, kreiert hat. Tembe heischt nicht um Mitleid, sie tanzt an gegen einschnürende Regeln und gesellschaftliche Zuschreibungen. Einmal tritt sie in weißem Tutu auf – ein provokantes Bild. In 18 afrikanischen Ländern wird heute Genitalbeschneidung praktiziert, klärt sie auf. Ihr Solo zeigt, wie Gewalt sich in den Körper einschreibt, es handelt aber auch von trotziger Selbstbehauptung. Einmal fragt sie: „Ist die Gesellschaft bereit für diese Frau?“

"Return to Sender", Hebbel am Ufer 1-3, bis 15. März

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