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Das ist sehr gefährlich. Szene aus "Emergency Artist".

© Dieter Hartwig / Sophiensaele

Tanzperformance „The Emergency Artist“: Leben auf der Kippe

Mut zum Risiko: Die Tanzperformance „The Emergency Artist“ in den Sophiensaelen ermutigt die Zuschauer, gewohnte Pfade zu verlassen.

Von Sandra Luzina

An warnenden Stimmen fehlt es nicht in der neuen Tanzperformance von Clément Layes. „Attention“, ruft eine Tänzerin gleich zu Beginn von „The Emergency Artist“. Der französische Choreograf hat eine treffende Beobachtung gemacht: Als die Studenten im Mai 1968 auf die Barrikaden gingen, wollten sie den allgemeinen Ausnahmezustand ausrufen. Heute leben wir alle in einem permanenten Ausnahmezustand. Und müssen ständig einen Drahtseilakt absolvieren – ohne Netz und doppelten Boden. Die Künstler bilden da keine Ausnahme. Ein „Emergency Artist“, wie Layes ihn sich erträumt, ist insofern ein Ausnahmekünstler, als er sich nicht vom Gefühl der Verunsicherung anstecken lässt, sondern Mut zum Risiko beweist und dabei in Kauf nimmt, auf die Schnauze zu fallen.

Das Stück mutet wie ein Trainingscamp an, in dem die Performer ihren Wagemut unter Beweis stellen. Auf der Bühne der Sophiensaele steht eine Kippbühne aus Holz. Wenn die vordere Wand um 90 Grad nach vorn geklappt wird, bildet sie ein kleines Podest mit Rückwand. Dina Ekštjn und Ana Vnucec, zwei langhaarige Diven im Sechziger-Look, werden mit einer schwungvollen Kippbewegung eingeführt. Kaum haben sie ihre Pose eingenommen, klappt die Bühne auch schon wieder zurück – und die Frauen landen in der Versenkung. Mit Steven Koglin bilden sie ein witziges Trio, das hier einen Hindernis-Parcours absolvieren muss. Koglin ist der Draufgänger, während die beiden Frauen eher wie Angsthasen anmuten, vor allem Vnucec wird zur Alarmsirene. Wie ein Mantra wiederholt sie den Satz: „Das ist sehr gefährlich.“ Koglin dagegen wippt, hüpft und hangelt sich frohgemut durch das Stück und schreckt vor keiner Herausforderung zurück.

Ringen um Gleichgewicht

Drei Holzbalken sind neben zwei Hockern das wichtigste Requisit. Sie werden zum Schwebebalken, zur Wippe – und verweisen schon mal auf das Brett vorm Kopf. Es sind keine halsbrecherischen Akrobatiknummern, die Layes choreografiert hat. Doch es braucht auch keine Stunts, um von einem Leben auf der Kippe zu erzählen. Der Choreograf konzentriert sich auf den Moment vor dem Fall. Wenn dann alle sechs Performer auftreten und die Aktionen ineinandergreifen, erinnert das schon mal an ein Ballet Mécanique.

Die Tanzperformances von Layes zeichnen sich durch eine anarchische Komik aus. Mutwillig die Ordnung der Dinge und der Sprache. Auch hier werfen die Performer sich kleine Tafeln zu, auf die einzelne Wörter geschrieben sind. Das permanente, von stöhnenden und ächzenden Lauten begleitete Gerede, ist zwar manchmal etwas störend. Doch es hat Witz, wie die sechs Tänzer sich in verzwickte Situationen katapultieren und um ihr Gleichgewicht ringen. Layes will keineswegs, dass wir alle zu Action Heroes werden. Er ermutigt die Zuschauer, die gewohnten Pfade zu verlassen und die Dinge mal anders anzupacken. Dazu aber gehört der Mut zu scheitern.

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