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Kultur: Tanztheater: Erinnere dich an den Schmerz

Sie ist eine Grenzgängerin zwischen den Welten - die Choreographin Ea Sola. Als Tochter einer französischen Mutter und eines vietnamesischen Vaters wuchs sie in einem Dorf in Südvietnam auf.

Von Sandra Luzina

Sie ist eine Grenzgängerin zwischen den Welten - die Choreographin Ea Sola. Als Tochter einer französischen Mutter und eines vietnamesischen Vaters wuchs sie in einem Dorf in Südvietnam auf. 1978, nach einer abenteuerlichen Flucht, kam sie nach Paris. 1989 kehrte sie in ihre Heimat zurück, um ihre kulturellen Wurzeln zu erforschen. Die Spurensuche in einer vom Krieg verwüsteten Region wuchs sich zu einer zehnjährigen Recherche aus: Ea Sola studierte traditionelle Musikformen und Tänze, alte Festrituale wie die Alltagsbewegungen der Menschen - und übersetzte den archaischen Bewegungsgestus anschließend in eine moderne Bühnensprache.

Den fünfteiligen Vietnam-Zyklus, der mit "Sécheresse et pluie" (Dürre und Regen) begann, beschließt Ea Sola nun mit "Requiem" - das Stück für 22 Interpreten ist beim Berliner Fest der Kontinente zu sehen. "Requiem" ist einmal mehr ein Stück über das kulturelle Gedächtnis, seinen Ausgangspunkt nimmt es aber im Individuellen. Jeder der Darsteller arbeitet mit seinen persönlichen Erinnerungen an einen Menschen, den er verloren hat.

Frauen und Männer zwischen 22 und 80 Jahren betreten die Bühne in einer langsamen Prozession. Ernst blicken die vietnamesischen Darsteller ins Publikum, fast undurchdringlich wirken die Gesichter. Ein zuerst unmerkliches Summen eint die Akteure zu einem Kollektiv. Einzelne treten immer wieder heraus aus dem Ensemble, doch mit ihren Gefühlen von Schmerz und Trauer sind sie zugleich aufgehoben in der Gruppe. Die Musik entfaltet eine einigende Kraft. Ea Sola hat für "Requiem" die buddhistische Tradition ihres Landes erforscht, die Komposition ist inspiriert von alten Betgesängen in Tempeln und Pagoden.

Stimmen und Instrumente folgen unterschiedlichen verschlungenen Linien. Dominierend sind die hölzernen Percussion-Instrumente mit Rhythmen, die die Körper mächtig antreiben. Den Gesang der Huê bieten zwei Frauen in Seidengewändern dar, die immer nur kurz auftreten, um dann gleichsam in einem Bühnen-Nirwana zu verschwinden. Die Choreographie ist betont karg und streng, oft auf einfache Gänge reduziert, auf Körperhaltungen, wenn die Darsteller sich verbeugen oder niederknien zum Gebet. Meditative Ruhe und Konzentration wechseln mit heftigen Ausbrüchen, in denen die Körper sich winden und zucken. Gefühlszustände werden durchquert, um dann wieder anzulangen in der Stille.

Nun tritt Ea Sola selbst auf, schwarz gewandet zeigt sie einen wilden Totentanz. In seinen kultischen Komponenten ist das Stück für heute entworfen - ein Versuch, aus kollektivem Eingedenken ein modernes Bühnenritual zu formen, das freilich in seinen simplen Abläufen auch ermüdet. Die vietnamesischen Darsteller aber beeindrucken mit ihrem Ernst. Sie gestalten den Abend zu einer Zeremonie des Abschiednehmens, getragen von der Gewissheit, das mit dem Tod nicht alles endet.

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