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Martha Graham Dance Company New York

© Barbara Braun / DRAMA

Tanztheater: Im Labyrinth des Minotaurus

Wenn Frauen das Monster besiegen: Die Martha Graham Dance Company gastiert in der Staatsoper.

Von Sandra Luzina

Der Dutt ist zurück! Die Martha Graham Dance Company gastiert in der Staatsoper – und natürlich tragen die Frauen fast alle diese Hochfrisur, die zum Markenzeichen der 1991 verstorbenen Choreografin wurde und sich aufs Feinste von einem Ballerinenknoten unterscheidet. Die Pionierin des Modern Dance war in jeder Hinsicht stilbildend, ihre Ästhetik und Technik entstanden als Gegenentwurf zum klassischen Ballett mitsamt seinem lieblichen Weiblichkeitsideal. "Tanz ist die verborgene Sprache der Seele“, lautet ihr künstlerisches Credo.

Die Martha Graham Dance Company bestreitet derzeit ihre 82. Spielzeit: Ziel des von Janet Eilber geleiteten Ensembles ist es, das künstlerische Erbe der Gründerin lebendig zu halten. Graham war eine große Matriarchin und Mythomanin – was auch das erste Programm des Berliner Gastspiels mit Werken aus den Jahren 1947 bis 1990 demonstriert.

Eine Reise ins eigen Unbewusste

Im Zentrum ihrer Choreografien steht fast immer eine starke Frauenfigur. Oft wandeln ihre Protagonistinnen auf den Spuren mythischer Heldinnen, wobei Graham den Mythos als innerpsychisches Drama interpretiert. "Errand into the Maze“ (1947) ist eine Umdeutung des Mythos von Theseus im Labyrinth des Minotaurus. Hier wird daraus eine Reise ins eigene Unbewusste, zu der eine kühne Frau aufbricht.

Die Bewegungen sind – typisch Graham – kantig, kraftvoll, geradezu schroff. Dazu theatrale Gesten, jede wie ein Ausrufezeichen. Mit sparsamen Mitteln ersteht hier eine Drama-Queen, wie man sie auf heutigen Bühnen kaum noch antrifft. Das gehörnte Mann-Monster sieht dagegen eher putzig aus, wie es auf die Bühne hüpft, um die Heroine zu erschrecken. Drei Mal tritt die zu allem entschlossene Protagonistin dem Minotaurus entgegen, um ihn am Ende zu besteigen. Der Tanz ist bezwingend in seiner Grandezza. Die Bewegungen allerdings, die Miss Graham für die Herren ihrer Company ersonnen hat, muten aus heutiger Sicht jedoch beschränkt, ja männerfeindlich an. Sie agieren meist breitbeinig, stocksteif, geradezu phallisch – und ähneln einer Comicfigur.

Spirituelle Liebe ist nichts für Anfänger

Auch im legendären "Cave of the Heart“ von 1964, das auf dem Medea-Mythos basiert, zieht die finstere Zauberin alle Aufmerksamkeit auf sich. Medea windet und krümmt sich, eine Gefangene ihrer destruktiven Gefühle. Das Gift der Eifersucht wird versinnbildlicht durch ein rotes Band, das sie wie eine Schlange aus ihrem Kleid zieht. Am Ende steigt sie in ein Drahtbäumchen und verwandelt sich in eine Noguchi-Skulptur. "Diversions of Angels“ (1948) wiederum ist ein ungewohnt heiteres Werk. Graham feiert darin drei Spielarten der Liebe: Die jugendliche Verliebtheit, die leidenschaftliche und die spirituelle Liebe, verkörpert von Tänzerinnen in Gelb, Rot und Weiß. Da sind sie wieder, die typischen Off-Center-Bewegungen: Die Lady in Rot bewältigt prekäre Balancen. Für die Dame in Weiß und ihren Partner hat Graham sich vertrackte Haltungen ausgedacht – spirituelle Liebe ist eben nichts für Anfänger.

"Lamentation Variations“, als deutsche Erstaufführung angekündigt, beginnt mit einer Filmaufzeichnung von Grahams berühmten Solo "Lamentation“ aus dem Jahr 1930, gefolgt von der Suche dreier junger Choreografen nach einem zeitgemäßen Ausdruck von Klage und Schmerz. Das Werk, entstanden zum Gedenken an die Terroranschläge von 9/11, bleibt freilich im Betroffenheitsgestus stecken.

Grahams Stil wurde immer wieder persifliert – in "Maple Leaf Rag“, ihrer letzten Choreografie, tat sie es sogar selbst. Nach all den Seelendramen sorgt das Gruppenstück für einen heiteren Ausklang. Die Arbeit am Martha-Monument verträgt beides: Pathos und Gelächter.

Staatsoper Unter den Linden, wieder 8. bis 12. Juli, 20 Uhr, Sa auch 14.30 Uhr

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