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Kultur: Tanztheater: Im Lichte der Vergänglichkeit

Hände und Köpfe schwirren durch die Luft, kennen nur ein Ziel, nur einen Ort, den sie einnehmen wollen. Auf eine blonde Frau im blauen schulterfreien Kleid konzentrieren sich die männlichen Handgreiflichkeiten, mit leerem Blick quittiert sie das Stöbern und Stoßen, das Tasten und Taumeln auf ihrem Körper.

Hände und Köpfe schwirren durch die Luft, kennen nur ein Ziel, nur einen Ort, den sie einnehmen wollen. Auf eine blonde Frau im blauen schulterfreien Kleid konzentrieren sich die männlichen Handgreiflichkeiten, mit leerem Blick quittiert sie das Stöbern und Stoßen, das Tasten und Taumeln auf ihrem Körper. So rüde und ungefragt die Horde Herren ihrem Treiben nachgeht, so zärtlich erscheinen einzelne Griffe, in die Spurenelemente von Leidenschaft und Begehren eingesickert sind - so unverwechselbar eigen, wie ein Fingerabdruck. "Frühling und Sonnenschein soll für mich deine Liebe sein", knistert es durch den hohen Tanzsaal, in den eine goldene Oktobersonne bricht. In diesem prächtigen Licht der Vergänglichkeit hat Pina Bausch, die herzensjunge Prinzipalin des Wuppertaler Tanztheaters, mit "Kontakthof" ein Herbstopfer inszeniert. Ihre Akteure, allesamt Laien aus der Stadt der Schwebebahn, sind das, was man gesellschaftlich korrekt als Senioren bezeichnet. Vieles haben sie hinter sich, nicht aber ihre Gier nach Leben, nach dem sie greifen, bis die grauen Haaren im Haus der Berliner Festspiele wirr in den Himmel ragen. Als eine andere Frau das Tanzparkett betritt, finden die Hände einen neuen Ort der Sehnsucht. Jetzt erst fällt das erste "Opfer" in sich zusammen. Nicht mehr berührt zu werden, ist kälter als der Tod.

Im "Kontakthof", diesem Ort der Anbahnung, erscheint alles als Gegenwart: das Fertigmachen zur ersten Tanzstunde inklusive Kontrolle von Haar, Zähnen und Fingernägeln, die vagen Flirtversuche von Backfischen, die Angst vor einem Korb auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Die Unwissenheit der Jugend und die Unsicherheit des Alters bilden eine schnurgerade Linie, auf der Bauschs Darsteller entlang tanzen - und die sie manchmal mit leisem Erschrecken überspringen. Unwiderstehlich die Szenen, in denen um ein perfektes Äußeres gerungen wird, immer mit der einschlägigen Ratgeberlosung im Hinterkopf, Sex im Alter verlange nach "stärkerer und raffinierterer Stimulierung". Dass dieses Ziel ohne ein positives Körpergefühl unmöglich ist, beweist der gemeinschaftliche Hüftschritt, in voller Breitseite zum Publikum getanzt. Die Konzentration auf den nächsten Schritt, den nächsten Atemzug gelegt, sind die 25 Damen und Herren "ab 65" ganz bei sich, mitten in ihrem Leben - und die Zuschauer können sich glücklich schätzen, sie dabei beobachten zu dürfen. Auf einmal erkennt man auf der Bühne einen Jack Lemmon aus Elberfeld oder die stille Passion einer Dame, die versonnen und mit ernstem Stolz auf einem mechanischen Schaukelpferd reitet. Und man glaubt, in fremden Träumen lesen zu können, Träumen von Leben.

Leider entschwinden sie während der dreistündigen Aufführung immer wieder, werden zugestellt von schauspielerischen Bruchstücken, mimischen Kulissenteilen, die man aus dem Bausch-Theater kennt. Dann schlägt der Zauber des Authentischen schlagartig in Laientheater um. Doch das währt nur kurz - bis zum nächsten Tanz der Leidenschaften.

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