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Kultur: Tarzan im Akten-Dschungel

LITERATUR

Braucht Berlin noch eine Lesebühne? Nach der intimen Eröffnungsveranstaltung des neuen ndl-Literatursalons am Kollwitzplatz im Theater ohne Namen würde jeder noch Zweifelnde mit einem entschlossenen „Ja“ antworten. Tulpen in Vasen, Knabberzeug in Schalen, ineinander verzwirbelte Stuhlrunden im Kerzenlicht und ein wie immer anekdotisch aufgelegter Adolf Endler mit Auszügen aus seiner Autobiographie waren die Zutaten für einen Abend, an dem die DDR als „Absurdistan“ noch einmal so richtig aufleben konnte. Es wirkt fast rührend, wie dienstbeflissen ihn die Stasi damals auf Schritt und Tritt verfolgte. Ein besonders emsiger Stasimann fertigte einen elaborierten Lageplan von Endlers Straße mit Buntstift an, samt Bierkrügelchenzeichen für die Kneipe „Zur feuchten Ecke“, in der sich der Autor öfter aufhielt: ohne Begleitung, wie der Beobachtungsposten verstört anmerkte.

Der „Tarzan vom Prenzlauer Berg“ kann der Detailtreue der Stasi heute dankbar sein, denn wie sollte er sich selbst so genau an seine mindestens 23 Wohnungen erinnern können? Seine Texte reisten in einem Lederkoffer mit oder wurden als Durchschläge bei einer der Exfrauen gebunkert. Die Akten kommentieren lakonisch: „Insgesamt lebt er einfach und primitiv.“ Über diese Szenen deutscher Literaturgeschichte aus dem realsozialistischen Kiez kann man heute lachen. Im nächsten Salon, der fortan jeden ersten Montag im Monat stattfinden soll, sind ernstere Salven zu erwarten. Gerhard Falkner und jüngere Poeten werden sich die Kritiken zur Anthologie „Lyrik von Jetzt“ vornehmen. Damit holt Hausherr Martin Jankowski einen Moment des Austauschs und der Reflexion in die Berliner Vorlesekultur, der auch anderen Bühnen gut anstehen würde.

Nikola Richter

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