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Kultur: Tasse und Schwert

Zum 100. Geburtstag von Yasushi Inoue erscheint „Der Tod des Teemeisters“

Von Gregor Dotzauer

Die Kunst des Tee-Wegs, so erklärte der japanische Zen-Großmeisters Rikyu einmal, „besteht einfach darin, Wasser sieden zu lassen, Tee zu bereiten und ihn zu trinken.“ Um die tiefe Paradoxie dieser Worte zu begreifen, genügt es nicht, sie gegen den Strich zu lesen. Ihre Geheimnislosigkeit verbirgt zwar ein Geheimnis, doch eines, das wiederum nur in der Geheimnislosigkeit liegt. Das Einfache besteht gerade in der unendlichen Anstrengung, den strengen Ritualcharakter der Teezeremonie zu überwinden und eine zweite Unschuld zu erreichen.

Auch das Geheimnis von Yasushi Inoues Erzählkunst lässt sich kaum fassen, schon gar nicht in dem Roman, den er Rikyu, dem Begründer der Wabi-Tee- Ästhetik widmete: Sie löste im 16. Jahrhundert das bis dahin geltende Ideal von Prächtigkeit und Inszenierung durch ein Ideal der Schlichtheit ab. „Der Tod des Teemeisters“, der Rikyus bis heute ungeklärtem Konflikt mit seinem Mäzen, dem Kriegsherrn Hideyoshi, nachgeht, auf dessen Geheiß er 69-jährig, auf dem Gipfel seines Ruhms, den rituellen Selbstmord seppuku begehen musste, lebt aus einer eigenartigen Mischung von Sprödigkeit und Spannung.

1981, zehn Jahre vor Inoues Tod im Original veröffentlicht, erscheint der Roman zum 100. Geburtstag des Dichters am morgigen Sonntag zum ersten Mal auf Deutsch. (Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, Suhrkamp, Frankfurt a. M., 169 Seiten, 19,80 €.) Ein von einem Konfuzius-Roman gefolgtes Spätwerk, das weit entfernt scheint von der Zugänglichkeit seiner frühen, zum Jubiläum neu aufgelegten Bücher, die seinen Ruhm als Doyen der japanischen Moderne begründeten: der weltberühmten Erzählung „Das Jagdgewehr“, die aus drei verschiedenen Perspektiven ein und dieselbe Liebesgeschichte beleuchtet. Der Novelle „Der Stierkampf“, in der sich der Chefredakteur einer Zeitung in Osaka beim Zerfall der Beziehung zu seiner Geliebten zusieht. Oder dem Roman „Schwarze Flut“, der den historischen Fall um den Tod des Staatsbahndirektors Sadanori im Jahr 1949 untersucht.

Sie alle brauchen nur ein paar Seiten, um einen mit psychologischem Feinsinn und einem gelassen realistischen Ton hineinzuziehen in die Einsamkeiten ihrer Protagonisten und eine trügerisch widerstandslose Universalität zu entfalten. „Der Tod des Teemeisters“ dagegen mit seinem Eintauchen in die Samurai-Kultur bedient vordergründig das Bild eines historisierenden Exotismus. Doch durch seine mythische Größe opulent ist nur der Stoff, seine sprachliche Ausgestaltung ist von intensiver Dürre, die Inoue durch Rikyus Mund sogar Programm annehmen lässt: „Mein Meister Joo hat mir einst gesagt, die höchste Stufe der Dichtung bestünde in Strenge, Kargheit und Kälte, und er wünsche sich, dass der Tee ihr darin gleiche.“ Und was das Exotische betrifft, so kann die Suche nach dem Grund für Rikyus seppuku, auf die sein Schüler, der Mönch Honkaku, sich begibt und die er in Notizheften festhält, nur Europäer fremdartig anmuten. Der Konflikt zwischen Hideyoshi, dem späteren Herrscher über ganz Japan, und Rikyu hat in zahlreichen Geschichten und Romanen Gestalt angenommen – etwa in Yaeko Nogamis Roman aus den sechziger Jahren, den Kei Kumai 1989 mit Toshiro Mifune in der Rolle des Rikyu verfilmte.

Die Spekulationen über das Zerwürfnis der beiden Männer sind die immer gleichen: Ob Rikyu es gewagt habe, sich in Kriegsangelegenheiten einzumischen, oder ob Hideyoshi, wie das Inoues Roman angefügte Glossar in ärgerlicher Klarheit vermerkt, sich so darüber ärgerte, unter einer Statue des Teemeisters den Daitokuji-Tempel zu betreten, dass er diese hierarchische Schmach mit dem Tod gesühnt sehen wollte.

„Der Tod des Teemeisters“ entzieht sich solchen Versuchungen – nicht ohne Erwartungen auf die Lösung des Rätsels aufzubauen. Inoues Roman will weder Vergangenheit evozieren noch eine fragwürdige Übersetzung der Geschehnisse in die Gegenwart vortäuschen. Er bewegt sich auf einer Grenze, von der aus gerade noch so viel historische Szenerie in den Blick gerät, dass eine literarische Illusion entsteht, und gerade noch so viel kriminalistische Spannung erzeugt wird, dass ihre rein philosophische Auflösung – noch dazu in einer Traumszene – nicht wie eine Enttäuschung, sondern wie die einzig mögliche Antwort wirkt. Schon lange, gesteht Rikyu darin Honkaku, sei die Welt des schlichten Teewegs für ihn eine unfreie Welt gewesen. „Doch jetzt, wo ich bereit bin, mit meinem Leben für sie einzutreten, hat sie sich augenblicklich in eine lebendige und freie Welt verwandelt.“ Rikyu, heißt es, habe damit „aus der leichten Teekunst, die dem Vergnügen diente, etwas Ernsthaftes geschaffen. Das bedeutet, er hat den Teepavillon in einen Raum für Zenmeditation verwandelt. In einen Raum, in dem man das Schwert gegen sich richtet.“

In diesem Sinn ist der Roman „japanischer“ als vieles, was Inoue sonst geschrieben hat. Doch sein Misstrauen gegenüber einfachen Wahrheiten fügt sich bruchlos ein in die Zweifel an der Darstellbarkeit alles Tatsächlichen, die ihn schon in „Schwarze Flut“ beschäftigten. „Der Tod des Teemeisters“ mag ein Exerzitium sein. Um zu verstehen, was die kulturellen Wurzeln von Inoues Weltläufigkeit, die sich schon in seiner Promotion über Paul Valérys poésie pure zeigte, ist die Lektüre dieses Romans ein bedeutender Gewinn.

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