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Kultur: Taste Töne!

Der Dezember gehört in den Berliner Konzertsälen den Starpianisten: Altmeister Maurizio Pollini und Rudolf Buchbinder machen den Anfang

Eigentlich ist das Klavier ein unzeitgemäßes Instrument. Viel zu schwergewichtig für die moderne, mobile Gesellschaft. Das 19. Jahrhundert war seine große Zeit: Vor der Erfindung von Schallplatte und Radio verbreitete sich der Ruhm von Opern und Sinfonien vor allem über Pianos. Je nach Fingerfertigkeit erklangen die Novitäten für den Laien leicht arrangiert oder zur brillanten Konzertparaphrase aufgebauscht. Irgendwo in der Nähe stand immer ein Klavier.

Und heute? Die klassischen (und klassisch gebildeten) Bildungsbürger sterben aus, ihre Erben bekennen sich zu einem Freizeitstil, bei dem das Wort „Hausmusik“ nicht mehr vorkommt. Doch wo die Zahl der Amateure schrumpft, reduziert sich auch die Kundschaft für Profi-Klavierabend. Das merken die Veranstalter in Berlin seit Jahren. Die Konzertdirektion Adler strich ihr Angebot sogar so radikal zusammen, dass sich der damalige Intendant der Berliner Philharmoniker, Elmar Weingarten, 1999 veranlasst sah, mit „Sonntags um vier – Klavier“ eine eigene Veranstaltungsreihe aufzuziehen, um dem Spitzennachwuchs überhaupt noch ein Podium in der Hauptstadt bieten zu können.

Da reibt man sich beim Blick in das Dezember-Konzertprogramm erstaunt die Augen: sechs Pianisten mit klangvollen Namen kommen in diesem Monat nach Berlin. Zwei Altmeister – Maurizo Pollini und Rudolf Buchbinder – machten den Anfang (siehe nachstehende Kritiken). Doch schon am 7. Dezember betritt ein viel versprechender Newcomer die Bühne: Victor Emanuel von Monteton. Er präsentiert sich mit Beethovens 1.Klavierkonzert und der Berliner Kammerphilharmonie im Kammermusiksaal. Zeitgleich ist im Konzerthaus das Duo Sonja und Shanti Sungkono zu hören.

Als pianist in residence haben die Berliner Philharmoniker Lars Vogt eingeladen, in dieser Saison einen ganzen Zyklus von Kammermusikabenden zu gestalten. Am 17.12. startet er zusammen mit den Philharmonikern Thomas Timm, Naoko Shimizu und Martin Löhr mutig mit einem reinen Schostakowitsch-Abend im Kammermusiksaal.

Ein riesiges Presseecho lösten die Debüt-CDs zweier blutjunger Chinesen aus: Yundi Li und Lang Lang. Nun wollen sie in Berlin den Beweis antreten, dass sie live so brillant sind wie im Studio. Am 14.12. spielt Lang Lang in der Philharmonie Beethovens 4.Klavierkonzert zusammen mit Christoph Eschenbach und dem NDR-Sinfonieorchester, am 21.12. ist Yuni Li mit Chopins 1.Klavierkonzert zu Gast beim Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester.

Das ist eine echte Winterreise in der restlos ausverkauften Philharmonie: Maurizio Pollini hat wohl sehr lange in den Himmel über Berlin geschaut, bevor er schnellen Schritts das Podium betritt, um einen umjubelten Abend lang Werke von Frédéric Chopin zu spielen. Fahle, winterliche Farben bestimmen den gesamten ersten Teil des Programms, wie erstarrt wirkt die Musik im alles dominierenden Mezzoforte, so manches Detail verschwindet im Nebel des extensiv getretenen Pedals. Einzig mit seinem untrüglichen Gespür für Proportionen hält der große Elegante unter den intellektuellen Virtuosen die Nocturnes Opus 55, die Des-Dur Berceuse oder das Cis-Moll-Scherzo zusammen. Über bleigrauem Grund erhebt sich einsam das Thema der Barcarole Fis-Moll.

Keine Wärme, nirgends? Doch: Nach der Pause erzählt Pollini mit den Balladen eine Jahreszeitengeschichte: In der stürmisch bewegten Nr.1 bäumt sich ein letztes Mal der Herbst auf. Ein kalter Hauch bringt die glückselig aufleuchtende Melodie der F-Dur Ballade immer wieder zum Flackern.

Dann aber flieht das lyrische Ich dieser klingenden Poesien ins Warme, ins Innere. Versöhnung mit sich und der Welt klingt aus den beiden abschließenden Stücken, fegt der Nordwind auch durch die Coda der Nr.4. Mag der Winterreisende bei Schubert zum trüben Schluss dem Tod ins Auge blicken – bei Pollinis Chopin findet der Wanderer die ersehnte Ruh’.

Von wegen Ruhe. Diese Musik fängt gar nicht erst an. Legt los, mündet aber auf der Stelle in eine Pause. Fermate. Triller. „Als ob das Herz stockte“, schrieb Dieter Schnebel einmal über Franz Schuberts letzte Klaviersonate. Und dass sie ein Einspruch sei gegen den Fluss der Musik und der Zeit.

Rudolf Buchbinder versucht es anders im banachbarten Kammermusiksaal. Schuberts große melancholische B-Dur-Sonate taucht er in helles, klares Licht: Die Achtel nach dem rhythmischen Stopper im Hauptthema nimmt er extrem früh, Punktierte verschleift er, spielt unerbittlich, drängend, mit kräftigem Anschlag. Und die himmlisch hohen Passagen ohne Bassgrund, kleine Inseln der Seligkeit im ersten Satz, verlegt er ins Diesseits. Vorwärts, weiter: Augenblick verweile nicht.

Alles so flüchtig hier. Daran ändern auch effektvolle Verzögerungen nichts. Buchbinder ist elegant wie Pollini, cool ist er nicht. Eher ein meisterlicher Routinier. Eine gute Grundlage für Berlins Klaviermarathon. Ist Buchbinder doch einer, der sich nicht überwältigen lässt, sondern jedes Werk virtuos bewältigt. Der bei Franz Liszts Mephistowalzer nicht die Kontrolle verliert, Dämonie und hauchzarten Elfentanz blitzschnell ineinander verschränkt. Der Schumanns vertrackte C-Dur- Fantasie gleichsam mühelos strömen lässt. Und der noch in der Zugabe – Schuberts Schmetterlings-Impromptu – die Phrasenschlüsse elegant abfedert. Donnernde Akkorde, Piano-Perlenketten, das Perpetuum Mobile gebrochener Dreiklänge – Buchbinder comme il faut. Er schwelgt gelegentlich auch. Aber die Trunkenheit (oder wahlweise die Eiseskälte der Winterreise), den Moment des Kontrollverlusts, des freien Falls samt Risiken und Nebenwirkungen – den vermisst man doch. Christiane Peitz

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