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Kultur: Tastenstürmer

Finale beim ersten Berliner Klavierfestival.

Standing Ovations für Elisso Virsaladze – das ist das triumphale Finale der ersten Ausgabe des Berliner Klavierfestivals. Die Bemühungen von Barnaby Weiler, der das Projekt mit Idealismus und Fantasie quasi aus dem Hut zauberte, sind von Erfolg gekrönt worden. Fast alle Konzert waren so gut wie ausverkauft, von einem aufmerksamen Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Auch die Frage, ob Berlin zusätzliche Klavieraktivitäten braucht oder verkraften kann, hat sich damit erledigt: Von solch spannenden Pianisten und persönlich gestalteten Programmen kann man gar nicht genug haben!

Dabei muss der Zuhörer durchaus nicht mit allem einverstanden sein: Selbst die mit Pfiffen, Bravorufen und Füßetrampeln gefeierte Virsaladze zeigt sich nicht auf Anhieb als die „grande dame“ der russischen Schule. In Mozarts Fantasie und Sonate c-Moll, die in dieser selten zu hörenden Kombination doch ein riesiges Drama sein könnte, kann sie sich nicht zwischen klassischem und romantischem Stilansatz entscheiden, mal heiß, mal kalt. Prokofjews d-Moll-Sonate, eine zähnefletschende, von zarten Lyrismen durchbrochene Maschinenmusik, zeigt die Georgierin bereits auf der Höhe ihres explosiven Könnens. Unüberbietbar dann ihr Chopin und Schumann: Die „Polonaise-Fantasie“ des polnischen Meisters bezaubert durch natürlichen Fluss, aus dem sich das tänzerische Thema in poetisch-leidenschaftlichen Facetten erhebt. Die C-Dur-Fantasie des deutschen Romantikers wird zum fortreißenden Tonstrom – nach dem energiegeladenen, atemberaubend souverän vorgetragenen Mittelsatz bricht das Publikum in spontanen Applaus aus.

Riesenbeifall gibt es auch für Benjamin Grosvenor. Vielleicht ist es ja verfrüht, den 19-jährigen Londoner als „Visionär am Klavier“ zu bezeichnen. Doch seine D-Dur-Partita von Bach nimmt durch Gestaltungsfantasie und eine reiche Anschlagspalette gefangen. Seine Detailverliebtheit macht aus den Satztypen „Courante“, „Sarabande“ oder „Gigue“ romantische Charakterstücke voller Überraschungen. Hier mag auch ein Problem liegen: Bevor eine melodische Linie, eine rhythmische Bewegung in Fahrt kommen kann, nimmt Grosvenor sie schon wieder zurück. Sonaten von Chopin und Skrjabin, Ravels „Gaspard de la Nuit“ lassen sonst an Kraft, Klarheit und Sensibilität nichts zu wünschen übrig. Was für ein Talent!

Als solches könnte auch Freddy Kempf gelten. Der 34-jährige Brite sorgte schon beim Tschaikowsky-Wettbewerb 1998 für Furore, als er „nur“ einen dritten Preis erhielt, zum Ärger des Publikums. Und er provoziert auch in Berlin: Balladen von Chopin etwa erklingen mit knallharter Rasanz, in der auch Lyrisches nur Schwarz- Weiß-Kontrast bietet. Doch diese recht pauschale Intensität reißt viele zu Jubelstürmen hin – auch von solchen Irritationen lebt ein Festival. Isabel Herzfeld

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