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Kultur: Tauben und Lauben

Die Galerie argus fotokunst erinnert an die Berliner Fotografin Elisabeth Niggemeyer

Eigentlich wollte Elisabeth Niggemeyer gar keine Fotografin werden. Nur widerwillig folgte sie dem Wunsch der Eltern, die ihre Tochter 1950 an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie angemeldet hatten. Bei einer Reportage vom Münchner Oktoberfest erwacht die Leidenschaft, und drei Jahre nach Studienabschluss, 1955, erscheint im Süddeutschen Verlag ihr großformatiges Fotobuch „das münchner jahr“. Es wird von Friedrich Luft enthusiastisch besprochen. Der Verlag bringt ein Jahr darauf das zweite Buch heraus: „London. Stadt, Menschen, Augenblicke“. 1957 folgt „Bonn im Bild“. In Berlin, wo Elisabeth Niggemeyer bis heute ansässig ist, folgen Aufträge der Zeitschriften „Constanze“ und „Magnum“. Bald entsteht, mit einem Text von Wolf Jobst Siedler, ihr berühmtestes Fotobuch: „Die gemordete Stadt“. Es sollte (bis auf den Nachfolgeband „Die verordnete Gemütlichkeit“, 1985) das letzte werden, fortan verlagerte sich ihr Interesse auf pädagogische Projekte. Sie hatte Lehrerin werden wollen.

Vielleicht liegt es an diesem Bruch, dass man den Namen Niggemeyer vergeblich in einschlägigen Fotografenlexika sucht. Aber die vier, fünf Editionen – entstanden in einer Zeit, als Fotobücher noch nicht en vogue waren wie heute – sind geblieben und von poetischem Reiz. Es ist darum mehr als ein respektabler Akt der Gerechtigkeit, dass der Galerist Norbert Bunge aus dem Archiv der Fotografin eine Auswahl ans Licht geholt hat, die an ihre starken Anfänge und die wie in ferner Zeit zurückliegenden fünfziger und sechziger Jahre erinnert. Damals mochte man sich noch aufregen, wenn die Berliner Verkehrsbetriebe ein schönes altes Portal mit einem großen U-Schild verunzierten oder wenn, weitaus schlimmer, die letzten Überbleibsel des historischen Hansa-Viertels der Aufbauwut zum Opfer fielen. Heute haben wir uns längst an viele hässlichen Seiten Berlins gewöhnt, aber die Klage über die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ scheint, während die Stadt erneut eine entschiedene Modernisierungsphase durchfiebert, ein Ruf aus tiefer Vergangenheit.

Nicht die Stadtkritik, sondern der Blick auf die Menschen fasziniert heute an vielen der zu moderaten Preisen (300 bis 400 Euro) angebotenen schwarzweißen Vintageprints. Mehr als bierselige Münchner, steife Engländer und aufmarschierende Ehrenkompanien in Bonn dürften hier die Berliner Aspekte interessieren: die Kinder, die einem Leierkastenmann zuschauen, der Mann, der auf einer Kreuzberger Brache seinen Stuhl ins Freie gestellt hat und den sonnigen Tag genießt, oder die weiße Taube, die zwischen Mietskasernen schwebt, als hätte sie eine Botschaft zu überbringen. Situationen, die selten geworden sind oder ganz verschwanden wie die alte Frau, auf deren Personenwaage jedermann in einer Toreinfahrt auf der Karl-Marx-Straße sein Gewicht prüfen lassen konnte.

Der dezidiert linke, kritische Anspruch der Fotobücher indes wirkt heute verblasst. Eher bedienen die ausgewählten Arbeiten die Nostalgie nach einer Zeit, wo vieles anders und vielleicht schöner war als heute, vor allem weil man die Augen vor der gespaltenen Welt verschließen konnte. Was ist eine verschandelte Fassade gegen die Mauer, die die Stadt und das ganze Land zerteilte. Den Osten scheint Elisabeth Niggemeyer so wenig registriert zu haben wie den Aufruhr der Studenten gegen die gepflegte Gemütlichkeit. Viele ihrer Fotografien rühren durch die Erinnerung an ein Idyll, das es so nie gegeben hat – darin liegen Wert wie Begrenzung dieser Arbeiten. Vielleicht stammt das schönste Bild doch nicht aus dem eingeschlossenen WestBerlin, sondern aus London: Ein Paar steht mit dem Rücken zur Fotografin auf seinem Hausboot in der Themse und schaut hinüber zum jenseitigen Ufer. Seit dieser Aufnahme sind zweiundfünfzig Jahre vergangen, aber so verliebt und ratlos mögen, da wie hier, noch immer Paare in die Zukunft schauen.

Galerie argus fotokunst, Marienstraße 26, bis 24. Februar, Dienstag bis Sonnabend 14–18 Uhr.

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