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Kultur: Tauchen in den Tiefen der Antike

Denken zwischen Auschwitz und Athen: Der Historiker Christian Meier feiert seinen 80. Geburtstag

An diesem Montag ereignet sich im Berliner Wissenschaftskolleg eine Koinzidenz, die ihren eigenen Charme hat. Die Vorstellung eines neuen Buches fällt auf den achtzigsten Geburtstags des Autors, des Historikers Christian Meier. Überdies zeigt das Werk ihn ganz bei sich selbst, bei den Gedanken und Themen, mit denen er das geistige Leben der Bundesrepublik über die Jahrzehnte hinweg inspiriert und bereichert hat. „Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas“ ist der Titel, und es beweist aufs Schönste seine Gabe, mit Gelehrsamkeit und essayistischer Brillanz Geschichte zu schreiben, die eine weit entrückte Vergangenheit für unsere Gegenwart aufzuschließen vermag.

Es ist ja auch diese Fähigkeit, die Meiers Ruf begründet hat. Der Althistoriker hat wie ein Tiefseetaucher aus der uns fremd gewordenen antiken Welt faszinierende Funde ans Licht gebracht. Mit seinem 1980 erschienenen Aufsatzband „Die Entstehung des Politischen bei den Griechen“ hat er eben diese These belegt und einen nachhaltigen, inspirierende Gedanken gezündet. Seine Cäsar-Biografie von 1982 und sein elf Jahre später erschienenes „Athen“ haben ein breites Publikum gefunden, nicht zuletzt wegen seiner dort bewiesenen Fähigkeit als Erzähler. Doch Ausgangspunkt seiner Beschäftigung mit der Geschichte war immer – wie er bekannt hat – das Interesse an der Gegenwart. „Von Athen bis Auschwitz“ heisst der Titel der Vorlesungen, in denen er seine Auseinandersetzungen mit Geschichte und Erinnerung in der Epoche des „Davonlaufens der Zeit“ formuliert hat. Es ist die Chiffre für die Spannweite seines Denkens und Schreibens.

Dabei hat sich Meier merkwürdig wenig berühren lassen von den Kontroversen, die seine Historikerkollegen umtrieben – obwohl er acht Jahre lang Vorsitzender des Historiker-Verbandes war, auch in den Jahren des Historiker-Streits. Aber bei ihm hat sich der erbitterte Waffengang, der so wenig Ergebnisse gebracht hat, niedergeschlagen im Ringen um die deutsche Geschichtserinnerung. Das Protokoll davon, erschienen unter dem Titel „40 Jahre nach Auschwitz“, ist noch immer einer der überzeugendsten Beiträge zu dem unerschöpflichen Thema. Natürlich gehört auch Meier qua Generation zu den „45ern“, die inzwischen als Träger der intellektuellen Modernisierung der Bundesrepublik entdeckt worden sind. Aber er verkörpert eine Spielart, die nicht leugnet, sich auch an den Debatten der fünfziger Jahre gebildet zu haben, die im Banne älterer Traditionsbestände standen. Sofern man in ihm, leichtfüßig im Auftreten, intensiv in der Gedankenführung, nicht überhaupt einen Kopf sui generis sehen muss.

Denn ein publizistisches Temperament ist Meier auch. Immer wieder meldet er sich in Zeitungen zu Wort. Zur Zeit der Wiedervereinigung wuchs diese Leidenschaft zu kleinen Büchern heran: „Deutsche Einheit als Herausforderung. Welche Fundamente für welche Republik“ und „Die Nation, die keine sein will“ hießen diese Streitschriften, die schon in ihren Titeln ihre Botschaften verrieten. Als Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“ (von 1996 bis 2002) focht er heftig gegen die Rechtschreibreform (auch für das neue Buch hat er auf der alten Rechtschreibung bestanden). Aber trug nicht schon die Antrittsvorlesung des jungen Professors den Titel: „Die Wissenschaft des Historikers und die Verantwortung des Zeitgenossen“? Das war 1968, in Basel – der Beginn einer erfolgreichen Laufbahn, die über Köln, wieder Basel und Bochum nach München führte.

Nun also, mit dem neuen Buch, die Rückwendung sozusagen zum Kerngeschäft, den Griechen. Ihre Einzigartigkeit, so Meier, bestand darin, eine Kultur auszubilden, in deren Mittelpunkt die Freiheit stand. Das war das Präludium Europas – und verdiente neben „den bekannten langgestreckten Revolutionen der Weltgeschichte, der Neolithischen und der Industriellen“ als die politische Revolution zu gelten. Eine These mit Trommelwirbel, angemessen für den runden Geburtstag.

Christian Meier: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas. Siedler Verlag, München 2009. 368 Seiten, 22, 95 €.

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