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Kultur: Taumel und Triumph

Die Berliner Festwochen eröffnen furios: mit William Forsythe

Von Sandra Luzina

Mit drei Tanzstücken von William Forsythe und seinem Frankfurter Ballett eröffneten Donnerstagabend die diesjährigen Berliner Festwochen – in der ausverkauften ehemaligen Freien Volksbühne stürmisch gefeiert, denn die weltberühmte Truppe präsentierte sich in bester Form. Mit Forsythe werden die Berliner Festspiele auch weiterhin zusammen arbeiten, verkündete Festspiele-Intendant Joachim Sartorius dann nach der Vorstellung. Es war, als ob Sartorius allen Optimismus und alle Zukunfshoffnung, was den Fortbestand der zuletzt viel diskutierten Festwochen angeht, in diese Neuigkeit gepackt hätte.

Forsythes Vertrag in Frankfurt/Main läuft im nächsten Jahr aus, künftig will der gebürtige New Yorker mit seiner Tanzcompany drei Monate im Jahr im Dresdner Festspielhaus Hellerau arbeiten, wo ein neuer „Kunstcampus“ entstehen soll. Die Festspiele sind nun im Verbund mit der Schaubühne in Verhandlung mit dem Umworbenen, um seine Arbeiten in Berlin künftig regelmäßig präsentieren zu können. Auch gab es in Berlin bislang keine Forsythe-Uraufführung, die zur Festwochen-Eröffnung gezeigten älteren Stücke stammten noch aus dem Frankfurter Repertoire.

In seiner Eröffnungsrede hatte Sartorius das Festwochenprogramm auf die Formel „Genuss und Erkenntnis“ gebracht – damit begegnete er wohl der Forderung nicht nur des Bundes nach mehr „Glanz“. Die Bundesregierung aber wurde von Sartorius, dessen Institution verglichen mit Hauptstadtfestivals in Wien oder Paris finanziell bescheiden ausgestattet ist, ganz unverhohlen als Adressat kultureller Begierden und Wünsche angesprochen. Monika Griefahn, die Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestages, sicherte den Festspielen denn auch ein weiteres Engagement des Bundes zu. Doch die Diskussion um die künftige Rolle der Festwochen in der veränderten haupstädtischen Kulturlandschaft dürfte damit nicht beendet sein. Eine gewisse Anspannung war bei Sartorius darum nicht zu verkennen.

Ein gelöster William Forsythe präsentierte sich beim Schlussapplaus. Man sieht es dem 53-Jährigen an: die kulturpolitischen Querelen liegen hinter ihm, um seine Zukunft ist ihm nicht bange. Mit einer Bewegung des Loslassens beginnt die 2002 entstandene Choreografie „N.N.N.N.“, das aktuellste seiner drei Stücke. Es mutet fast wie ein Befreiungsschlag an, der als düster und zergrübelt geltende Forsythe ist auf einmal zu Scherzen aufgelegt. Ein pendelnder Arm, ein lässiges Schlenkern, dann greift der Tänzer sich an den Kopf. Wie Forsythe das Thema Arme durchdekliniert, ist so witzig verspielt wie vertrackt verschlungen. Halten und Loslassen, Ziehen, Stoßen, Greifen und Begreifen: Es sind unspektakuläre Bewegungen, nüchtern werden sie von den Tänzern in Trainingsklamotten präsentiert. Doch sie beeindrucken durch ihre kinetische Intelligenz und ein hochentwickeltes sensorisches Bewusstsein. Dass hier nur vier Männer tanzen, macht den besondern Reiz aus. Eine schlaksige Bewegung löst eine Kettenreaktion aus Berührungen und Umarmungen aus. Wie die tanzenden Arme sich immer neue Punkte suchen, um kurz anzudocken – am eigenen Körper oder dem Körper des Anderen –, das hat manchmal schon Slapstickcharakter. Zugleich wirkt faszinierend, wie diese Männerkörper sich in immer verschlungeneren Mustern verbinden. Eine Bewegungsstudie, mehr will das Stück nicht sein, und doch kann man zusehen, wie hier permanent ein soziales Band geknüpft wird. „Enemy in the Figure“ von 1989 besitzt dagegen die düstere Aggressivität, für die Forsythe berühmt ist. Die hervorragenden Tänzer - Narzissten im Fransendress oder Athleten im Trikot – machen „Enemy“ zu einer atemberaubenden Tour de force. Mit einem beweglichen Scheinwerfer werden die Körper brutal in die Sichtbarkeit gerückt, um dann ins erholsame Dunkel zu tauchen. Angetrieben von der Musik Thom Willems jagen, wirbeln und taumeln die Tänzerinnen und Tänzer durch Extreme. Kollektiver Furor oder solistische Raserei, eine feindliche Energie scheint im Körper selbst zu nisten. Schönheit, dein Name ist Exzess – darin ist das Stück ein Vermächtnis der achtziger Jahre.

Mit dem abschließenden „Quintett“, das sich seit seiner Uraufführung 1993 zu einem der meistgespielten Stücke entwickelt hat, formuliert Forsythe zur Musik des britischen Komponisten Gavin Bryars ein zartes Manifest der Hoffnung. „Jesus Blood Never Failed Me Yet“: so der endlos wiederholte, mantraähnliche Gesang eines Obdachlosen. Der Irokesen-Kopf des hochtalentierten Prue Lang lugt aus einer runden Öffnung im Boden. Ein scheues Solo, schon verzieht er sich wieder, dieser Paradiesvogel. Immer wieder verschwindet ein Tänzer in diesem Loch, das dem Eingang zur Unterwelt gleicht. So kreist das Stück um eine Leere, auch wenn Forsythe erotisch mit dem Mythos von Orpheus und Eurydike spielt. Einen Abschiedsbrief an seine früh verstorbene Frau nannte er das Stück einmal. Gegen das endgültige Verlöschen setzt er eine Bewegung, die entsteht, vergeht und sich neu erschafft. Die Tänzer wechseln permanent ihre Partner, zufällig scheinen die Begegnungen, unaufhaltsam die Trennung. Doch wie heiter und ausgelassen sind diese Pas de deux! Manchmal erinnert „Quintett“ an ein übermütiges Kinderspiel mit seinem Fangen, Ausweichen und Nachlaufen. Und doch ist ihm eine tiefe Melancholie eingeschrieben.

Als Tanzfan outete sich auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der an diesem Abend eigentlich in Moskau hätte sein sollen. Wowereit überraschte die Anwesenden mit der Äußerung, dass es ihn immer noch schmerze, dass die zum „Festspielhaus“ umbenannte Freie Volksbühne nicht zum Tanzhaus geworden sei. Ein Statement, das Sartorius ebenso wie die Tanzenthusiasten überrascht haben dürfte. Denn zurzeit macht Berlin ja eher durch Kahlschlagpolitik bei den Opernballetten von sich reden.

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