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Kultur: Taumelnder Flug im Dachboden

Fliegen kann sie nicht mehr, die in der Gefangenschaft des Dachbodens vegetierende, von einem halbblinden Jäger angeschossene Wildente.Aber diese Aufführung im Maxim Gorki Theater will wie eine Erinnerung an die verlorene Freiheit des Vogels sein, nach dem Henrik Ibsen sein 1885 uraufgeführtes Schauspiel "Die Wildente" nannte.

Fliegen kann sie nicht mehr, die in der Gefangenschaft des Dachbodens vegetierende, von einem halbblinden Jäger angeschossene Wildente.Aber diese Aufführung im Maxim Gorki Theater will wie eine Erinnerung an die verlorene Freiheit des Vogels sein, nach dem Henrik Ibsen sein 1885 uraufgeführtes Schauspiel "Die Wildente" nannte.Deborah Epstein und Marcus Mislin bringen Menschen auf die Bühne, die das Fliegen versuchen und ins Taumeln und Stürzen geraten.

Denn wie das mühsam gepflegte Tier sind sie lebensuntüchtig, verletzt, gelähmt, verbannt in eine seltsam wattierte Abgeschlossenheit - auch wenn sie Widerstand leisten.Aus leisem Sprechen, aus harmoniesüchtigem, melancholischem Liedgesumm, aus lastender Stummheit brechen sie aus, in Schreie des Entzückens und des Entsetzens, in wilde Umarmungen, in hektische Aktionen - und fallen dann wieder zurück in seltsame Stummheit.Die Regisseure lassen den Fluch spüren, der über der Welt der halbtoten Reichen, der kindisch naiven Armen, der dienenden Frauen und verwirrten Sonderlinge liegt.Ein Männerchor besingt zu Beginn kommendes Unheil.Die alltäglichen Schrecken sind so gemildert, bannen lassen sie sich nicht, weder beim partygebenden reichen Großhändler Werle noch beim biedersinnigen armen Fotografen Ekdal.

"Die Wildente" lassen Deborah Epstein und Marcus Mislin am Maxim Gorki Theater in der Übersetzung von Peter Zadek und Gottfried Greiffenhagen spielen.In einem Deutsch, das ins Alltägliche will, poetische Attitüde abstreift, jargongesättigtes Dahinreden ermöglicht.Und doch verläßt sich die Aufführung nicht so sehr auf Sprache.Sie reduziert den Text, besonders im ersten Akt und am Schluß, auf schon bedrohliche Art, gibt dafür Pausen, baut wortlose Spannungsfelder auf, setzt auf Warten, auf Ruhe, immer wieder auf den volksliedhaften Singsang - bis zum nächsten Ausbruch.Mitunter meint man, in einem Märchen zu sein, mit Feen und Hexen, mit Kobolden und dem bösen Verführer."Zwischen Ibsen und dem Struwwelpeter besteht die tiefste Wahlverwandtschaft".Dieser Satz von Theodor W.Adorno steht im Programmheft.Nicht zufällig natürlich, dann das Kichern und Lachen, die gestischen Eskapaden, das plötzliche Gesichterschneiden, der Wechsel von Lähmung in zappelndes Getue ist tatsächlich nahe am großen Nikolas, der, wieder Adorno, "die Kinderbilder der Moderne in sein großes Tintenfaß tunkt, sie anschwärzt und mit ihrer Vorgeschichte, als zappelnde Marionetten wiederum herauszerrt."

Die Vorgeschichte des fünfaktigen Schauspiels ist, daß ein geschickter Kaufmann, Händler, Unternehmer den weniger geschickten Partner ruiniert, ins Gefängnis gebracht und damit für immer gesellschaftlich geächtet hat.Wenn der Vorhang aufgeht, werden die Folgen dieser Ruchlosigkeit gezeigt: Das Böse wirkt fort, in die nächste und übernächste Generation hinein.Auf der Strecke bleibt dabei das einzig unschuldige Wesen, Hedwig, ein vierzehnjähriges Mädchen.Um die Liebe des Vaters gebracht, der nicht ihr Vater ist, erschießt sich die Halbwüchsige hoch oben in dem Verschlag der geliebten Wildente.Ihr Opfer soll zerstörtes Glück zurückzwingen, wird aber nicht angenommen, kann Lethargie, Gleichgültigkeit, Selbstmitleid nicht besiegen.Vor der auf einen Stuhl gebetteten, mit einer Federboa geschmückten Toten steht im Maxim Gorki Theater der Spielmeister des Geschehens, ein zwittriges Wesen zwischen Engel und Teufel, der leise, unauffällige Versucher, alles an seinen Fäden führend.Eben hat dieser Gregers Werle, gespielt von Thomas Schmidt, noch einen Rumpelstilzchen-Tanz aufgeführt, im Wahn, das Mädchen habe die Wildente erschossen.Jetzt verharrt er schweigend, macht mit der Hand eine Flugbewegung, entläßt eine Seele - wohin?

Thomas Schmidt, körperlich merkwürdig verzogen, leicht hinkend, hungrig beobachtend, lächelnd, mit schiefgelegtem Kopf, ist der ganz Ruhige, Ausgeglichene, Freundliche, Forschende.Ein Fremder, der die Welt anders bauen, oder doch wenigstens untersuchen, in ihre Bestandteile zerlegen will.Einer, der aus gefährlicher, aus unheimlicher Stille wirkt.Ihm erliegen sie alle.Die Hedwig der Regine Zimmermann allerdings ganz ohne Arg.Ein Mädchen kommt auf die Bühne, lebenshungrig, von fordernder Naivität, liebesbereit, zupackend und schön in seiner noch kindlichen Ungeformtheit.Die anderen müssen sich dem Marionettenspieler Gregers strenger unterwerfen.Karina Fallenstein als Gina Ekdal führt, nicht ohne Hohn, in gezwungenen, wie studierten Posen vor, wie schwer es ist, Harmonie, zu züchten, Vergangenes vergessen zu machen.Dieter Wien ist der alte Werle, gepackt von herrischem Lebensekel, von einer müden Arroganz.Roland S.Blezinger macht aus dem Fotografen Ekdal ein bärchenhaft tapsendes, rundliches Wesen, klagend und räsonierend, kaum einmal Kraft gewinnend, mit Aufbrüchen, die allzu läppisch bleiben.Dazu Hilmar Baumann, Ruth Reinecke, Heinz Kloss, Tim Hoffmann, Dietmar Obst, Ian T.Dickinson und der Männerchor unter Leitung von Wolfgang Böhmer.

Elisabeth Pedross baute einen häßlichen, geräumigen Dachboden auf die Bühne, der von schmutzig überstrichenen Oberlichtscheiben mal trüb, mal hell erleuchtet ist und ganz hinten die eiserne Treppe zum Wildenten-Verschlag aufweist.Das "Arbeitszimmer" des alten Werle vorher war nur eine graue, mit abstrakter Ornamentik versehene Wand.Vor ihr eine Sammlung Stühle aus unseren Jahrzehnten, die dann dramaturgische Bedeutung erhalten, hin- und hergeschoben werden, Lebensräume schaffen, bedrohen, verbarrikadieren.Die Handlungszeit ist also dem Gegenwärtigen nahe, und doch auch entfernt, unbestimmt, wie im Märchen.In den begeisterten Beifall für die Schauspieler mischten sich auch Buhs für die Regisseure.

Weitere Vorstellungen am 10., 22., 25.Januar, jeweils 19 Uhr 30.

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