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Kultur: Technik als Spiegel der Seele

"Ich mache mir nichts aus meinem Äußeren, aber ich wünschte, die Leute könnten meine Seele sehen.Und gerade die tritt in diesen Photographien deutlicher als in anderen hervor.

"Ich mache mir nichts aus meinem Äußeren, aber ich wünschte, die Leute könnten meine Seele sehen.Und gerade die tritt in diesen Photographien deutlicher als in anderen hervor." Als August Strindberg dies 1906 zu einem Porträtbild schrieb, hatte er schon zehn Jahre lang keine literarische Zeile mehr geschrieben.Er hatte die große Lebenskrise von 1896 überwunden und sich der Naturwissenschaft, der Alchimie, Chemie und Botanik zugewandt und in diversen Experimenten nach einer Ordnung im allgemeinen Chaos des Kosmos gesucht.Und er hatte in der Photographie eine Möglichkeit entdeckt, in telepathischen Kontakt mit dem Porträtierten zu treten.

Flucht eines verwirrten Geistes? Irrwege eines Dichters, der Wissenschaftler sein möchte, um dem inneren Dämon zu entfliehen? Oder gerade Ausprägung eines universal schöpferischen Genies à la Goethe, das auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten die Grenzen der Gattungen überschreitet? Die kleine Ausstellung "Strindberg und die Photographie", die bis zum 20.Januar im Studio-Foyer der Akademie der Künste zu sehen ist, zeigt einen Aspekt dieser schöpferisch-wissenschaftlichen Suche: die Photographien, die August Strindberg seit 1892 gemeinsam mit verschiedenen Berufsphotographen anfertigte.Die Schau umfaßt drei Phasen: Die berühmten Porträtphotographien, für die Strindberg 1886 im schweizerischen Gersau posierte und die gewissermaßen die naturalistische Phase seines Schaffens begleiten, die Porträtphotographien der 90er Jahre, die in ihrer extremen Nahaufnahme forschenden Innenansichten gleichkommen, und die experimentellen Photographien ab 1906, die mit ihren Himmels-, Stern- und Wolkenbildern von Strindbergs Erforschung des Chaos zeugen.

"Impressionistenphotographien" nannte Strindberg seine mit Selbstauslöser komponierten Porträts, die gleichwohl weniger Impressionen als gestellte Posen durchexerzieren.Der Autor im Rollenspiel tritt als dämonischer Magier, als russischer Bauer mit Peitsche, als fröhlicher Gitarrenspieler oder als liebevoller Familienvater, als russischer Nihilist und konzentrierter Schriftsteller auf.Die Haltung ist gleich, frontal, starr, und dennoch atmen diese Photographien eine starke Präsenz und Kraft, die den späteren fehlen wird.Die Experimente, mit denen Strindberg versuchte, der Linse zu entgehen, die er als Verfälschung empfand, führen ab 1906 zu immer "malerischeren" Ergebnissen.Die eigens konstruierte "Wunderkamera", ein Meter lang und mit einer Belichtungszeit von 300 Sekunden, lieferte zwar technisch unvollkommene Ergebnisse, voller Flecken, Überbelichtungen und Verschattungen, kam der Idee einer "Seelenphotographie", wie sie aus dem eingangs zitierten Satz spricht, aber am nächsten.So ist Strindberg selbst in zwei lebensgroßen Photographien in geradezu entlarvenden Posen zu sehen: Einmal dämonisch vom Licht umzüngelt, magisch wie der Vorgang des Photographierens selbst, den er als Hynose verstand, einmal völlig verschatten, mit fragend-suchendem Blick, Ausdruck einer tiefen Depression.Die "Celestrographien", Nachtaufnahmen, die durch fünfminütige Belichtung einer Fotoplatte entstanden, lassen in ihrem Übermaß an hellen Flecken kaum jenes sphärische Gitter erkennen, das Strindberg als universales Prinzip auch in Eiskristallen erkannt haben wollte.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 20.1., täglich 10-19 Uhr, montags ab 13 Uhr.Kein Katalog.

CHRISTINA TILMANN

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