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Icke schon wieder. Paul Kalkbrenner bei der Arbeit. Foto: dpa

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Techno für alle: Paul Kalkbrenner in der Wuhlheide

Paul Kalkbrenner ist der Techno-Superstar der anbrechenden Dekade. Er begeisterte am Wochenende in der Wuhlheide an zwei Abenden jeweils 17 000 Leute. Künftig wird er auf vielen großen Festivals als Headliner auftreten.

Paul Kalkbrenner ziert sich nicht lange an diesem heißen, sonnigen Abend in der Parkbühne Wuhlheide. Sein Bruder Fritz hat das Publikum mit hübsch schwingenden Techno-Tracks eingestimmt, und kaum ist Fritz mitsamt Equipment verschwunden, kaum erklingen die ersten „Paule, Paule“-Rufe, betritt Paul Kalkbrenner schon die riesige Bühne. Wie vorgesehen Punkt acht Uhr, in grauem T-Shirt, Jeans, mit wie üblich kahlgeschorenem Schädel. Er freut sich sichtlich über den Beifall, er winkt mit dem rechten Arm, mit dem linken, sagt aber nichts, genau wie in den nächsten drei Stunden. Was auch kaum jemand hören würde, ein Mikrofon gibt es schließlich nicht: Dies ist ein Techno-Konzert. Und Paul Kalkbrenner ist der Techno-Superstar der anbrechenden Dekade, der nicht nur die Berliner Wuhlheide an zwei Abenden mit jeweils 17 000 Leuten ausverkauft, sondern in diesem Sommer auf vielen großen Festivals als Headliner auftritt, auch auf Rockfestivals.

Über die Technoszene hinaus berühmt wurde Kalkbrenner vor drei Jahren durch Hannes Stöhrs Film „Berlin Calling“ und den gleichnamigen Soundtrack dazu. Kalkbrenner spielt darin einen Berliner DJ namens „Ickarus“, der nach ein paar Clubnächten und Drogen zu viel, darunter einer garantiert falschen Pille, in der Psychiatrie landet. Die Krise bewältigt er dann nicht zuletzt durch die intensive Arbeit an einem neuen, vorher von seiner Labelchefin abgelehnten Album.

„Berlin Calling“, an Originalschauplätzen wie der Maria an der Schillingbrücke gedreht, ist ein Film über Berlin und die Clubszene, der versucht, ein von Techno bestimmtes Lebensgefühl einzufangen. Aber er hat zudem etwas von einer Künstlerbiografie, die einiges aus Kalkbrenners realem Leben erzählt: vom Aufwachsen im Osten der Stadt in einem musikalischen Elternhaus, von seinem Schulabbruch, von den Schwierigkeiten mit dem neuen Album. Kunst kann Leben retten, der Künstler muss nur an sich glauben. Und prompt hatte Techno, der Sound der neunziger Jahre, der in den nuller Jahren in eine schwere Krise und viele einzelne Subszenen zerfallen war, wieder ein Gesicht, eine Geschichte, einen Star.

Dabei hatte Kalkbrenner schon in seiner Frühzeit 1999/2000 als Paul db+ nicht viel übrig für den Berlin-typischen Brettertechno, genauso wenig wie für den minimalen, verfieselten, verfeinerten Techno. An Gefühligkeit lag ihm immer mehr, als Trance wurde das gern bezeichnet und missverstanden. Mit dem Soundtrack zu „Berlin Calling“ schien Kalkbrenner bewusst auf ein großes Publikum zu zielen: mit geradlinig wummernden Bässen sind die Stücke noch klar als Techno erkennbar, energisch, pumpend. Aber viele enthalten auch unglaublich schöne Melodien. Versehen mit sphärischen, stets wiederkehrenden Effekten laden sie zum Träumen, zum Wegdriften ein. Middle-of-the-road-Techno, Autorentechno, Konsenstechno, mit Songstrukturen gar – und Lyrics. Für „Sky and Sand“, den erfolgreichsten, wochenlang in den Charts stehenden Track des „Berlin Calling“-Albums, steuerte Bruder Fritz eine Gesangsspur bei.

Wie viel Konsens in Kalkbrenners Techno-Pop steckt, lässt sich an diesem Abend gut erkennen: Leute aus Punk- und Hardcorezusammenhängen sind da, Menschen, die keinen Popszenen zuzurechnen sind, natürlich auch Technokids mit Kalkbrenner-T-Shirts. Gekommen ist eben nicht nur die ravende Society, sondern ein Publikum, das Kalkbrenner in einem Interview als „tragenden Teil der Gesellschaft“ bezeichnet hat, der am Montag wieder zur Arbeit muss. Also auch Ärzte in ihren frühen Vierzigern mit Indierockvergangenheit oder die letzten jungen Zivis mit unklaren Berufsvorstellungen, die in den Kitas vom Prenzlauer Berg und Friedrichshain Dienst schieben.

Aber auch Bundeswehrsoldaten mögen Kalkbrenners Techno. Was ihm zuletzt einigen Ärger einbrachte. Denn im vergangenen Winter trat er vor Soldaten im afghanischen Kundus auf, ohne allerdings viel politisches Gewese um diesen Auftritt zu machen oder sich gar von der Bundeswehr instrumentalisieren zu lassen. Zwei Soldaten hatten sich unabhängig voneinander an sein Labelmanagement gewandt und nach einer Show gefragt, und der 33-jährige hatte spontan zugesagt. Für ihn keine Frage von Politik und Inszenierung: Kalkbrenner trennt sorgfältig zwischen den Soldaten, die in Afghanistan ihren Dienst tun müssen, und dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, den er ablehnt.

Paul Kalkbrenner ist am liebsten unten bei den Leuten, er legt auch schon mal im Deutschlandtrikot auf – aber eben nicht als Patriot, sondern als Fußballfan. Dazu passt, was er dem Elektronik- und Kulturmagazin „De-Bug“ auf die Frage nach seinem Verhältnis zum Mainstream erzählt hat: „Ich mag es allumfassend lieber, als diesen Elitarismus in der Szene. Wenn ich im ,Weekend’ spiele, kommt jeder Techno-Tourist rein, der gerade mit Ryanair gelandet ist, sich aber ein bisschen angesagt verkleidet hat. Wohingegen der Raver aus Lübbenau, der noch meine Paul db+-Platten kennt, leider draußen bleiben muss. Dann doch doch lieber ein Konzert, für das sich alle, die das wollen, auch ein Ticket kaufen können.“

Dass diese Urfans aus Brandenburger Städtchen aber bei seinen Shows inzwischen in der Unterzahl und die Mehrheit ganz neue Fans sind, merkt man in der Wuhlheide daran, dass gerade die Tracks am intensivsten bejubelt werden, die von „Berlin Calling“ stammen – gefolgt von denen des erst am Freitag veröffentlichten neuen Albums „Icke wieder“. Das bezieht sich nicht nur im Titel auf den Namen der Filmfigur, sondern schließt auch musikalisch an den „Berlin Calling“- Soundtrack an, in seiner untergründigen Sanftheit, der Melancholie in den meisten Tracks. Die Popmomente auf „Icke wieder“ sind nicht so offensiv, der Zuckerguss fehlt. Es braucht mehr Zeit, um den Zauber der meisten Stücke herauszuhören. Der „tragende Teil der Gesellschaft“ wird jedoch sicher nicht vor den Kopf gestoßen, sondern ein weiteres Mal mitgenommen. „Icke wieder“ ist das ideale Album für popinteressierte Kulturbürger.

Und das ist ja das Phänomenale an Kalkbrenner: Drei Stunden versteht er es, sein Publikum zu unterhalten, mit nichts anderem als seiner Musik, seinen Stücken; drei Stunden, in denen er vor wechselnden Diaprojektionen fast ununterbrochen hinter dem Mischpult steht, Knöpfchen dreht, programmiert, sich an sich selbst, der Musik berauscht. Puristisch ist dieser Auftritt und eher überflüssig die Feuerwerkskörper, die zwischendrin und am Ende zum großen Hit „Sky And Sand“ gezündet werden. Hin und weg, freudig bewegt und in Schönheit aufgehoben fühlen sich sowieso alle.

Irritierend ist nur, wie das Publikum nach zwei Dritteln der Show, als Kalkbrenner einmal kurz hinter der Bühne verschnauft, bei seiner Wiederkehr und den ersten Takten rhythmisch mitklatscht – wie bei „Wetten, dass ..?“, wie in einer Volksmusiksendung. Ob Paul Kalkbrenner das wirklich gewollt hat?

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