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Technologie: Apples iPad: Jobs Wunder

Blendwerk oder Zeitenwende? Apples iPad erzeugt mehr Illusion als Innovation.

Noch hat es kein deutscher Käufer in der Hand gehabt. Das Apple iPad kommt erst in sechs Wochen auf den Markt. Selten aber hat ein Gerät stärkere Diskussionen ausgelöst. In einer bizarren Koalition zwischen digitalen Urgesteinen und neu berufenen Webvordenkern herrscht überraschende Einigkeit über die angeblich damit verbundene Zeitenwende. Da wurde das Ende des „Mitmach-Internets“ ausgerufen und die Gefahr einer „Verdummung der User“ angeprangert. Die „FAZ“ sieht eine „Verwaltungsreform“ des Internets heraufziehen und erwartet einen IT-technologischen kalten Krieg zwischen Apple und Microsoft auf der einen und Google auf der anderen Seite. Ob nur eine „Fernbedienung für das Web“ (Jörg Kantel) in dem DIN-A4-großen Gerät steckt oder vielmehr ein neues Desktop-Paradigma, hängt jedoch von drei Faktoren ab, um die es bei dem ganzen Hype erstaunlich ruhig geblieben ist.

Zunächst sollte man sich ansehen, wo der IT-Riese mit dem Apfel-Logo eigentlich herkommt. Er entstammt der dynamischen und alles andere als rein businessorientierten kalifornischen Computerkultur der 70er Jahre. Jeder kennt die Geschichten vom Garagenunternehmer Steve Jobs und seinem Partner Steve Wozniak und beider Erfolg. Das erste Produkt der Firma ist jedoch fast unbekannt und weist erstaunliche Parallelen zum aktuellen iPad auf. Es hatte keine Tastatur, kostete um die 500 Dollar und war seiner Zeit voraus, der Apple I. Er wurde als nicht vollständiger Bausatz ausgeliefert. Der Nutzer musste diverse Teile bis hin zum Stromkabel anderweitig organisieren. Diese Vorgehensweise kennen wir heute, knapp 35 Jahre später, nur zu gut, auch wenn das iPad natürlich nicht zusammengebaut werden muss.

Die Nutzer müssen Zusatzfunktionen bis hinein in den Content-Bereich hinzukaufen – und das wahrscheinlich auf Abo-Basis. Das iPad, das Mitte der 70er Jahre nur in Science-Fiction-Visionen vorkam, entfernt sich so komplett von der Philosophie, Programme und Inhalte unentgeltlich installieren und nutzen zu können. Das iPad soll nicht mehr offen, veränderbar und für jeden nutzbar sein, der sich mit dem System und seiner Programmierung auskennt. Es führt eine neue Geräteklasse ein, die neben der unveränderbaren Hard- und Software auch die Inhalte in die Hand des Herstellers legt.

Um den Unterschied zwischen Open-Source-Software und proprietärer, also geschlossener Software, wie von Microsoft oder Apple schon von jeher angeboten, zu illustrieren, wird gerne das Bild eines Autos auf der Autobahn bemüht, auf der man nur fahren darf, solange man die Spielregeln der Hersteller anerkennt. Schlimmer noch, das Auto kann nicht selber repariert werden, da die Motorhaube zugeschweißt ist. Der Fahrer ist den Vertragswerkstätten des Anbieters völlig ausgeliefert. Das iPad scheint nun dafür zu stehen, dass auch Start und Endpunkt der Reiseroute vom Hersteller festgelegt werden.

Deshalb scheint auch die Content-Industrie das iPad als Heilsbringer zu betrachten. Sie will mitbestimmen, woher der Nutzer seine Inhalte bekommt und was er mit ihnen macht. Es handelt sich also um eine neue Art des Benutzer-Managements. Man könnte von „DVM – Digital View Management“ sprechen – letztlich einem Kontrollverlust der Nutzer. Dazu kommt, dass das Gerät wohl ohne gängige Schnittstellen – wie einenUSB- Anschluss – ausgeliefert wird. Die Inhalte lassen sich am einfachsten über Apples hauseigenen iTunes-Store beziehen.

Betrachten wir die Zielgruppe für das Gerät. Es hat den Anschein, dass Steve Jobs tatsächlich neue Käuferschichten ansprechen will. Ältere Leute sollen damit leichter ins Internet kommen. Doch was wird aus dem Kundenstamm von heute? Wird es wirklich gelingen, dass der Berliner Designer die gleiche Marke nutzen will wie seine Mutter oder Tante? Die Verschiebung der Zielgruppe weg von der kreativen Schicht hin zum Couchpotato birgt ungeahnte Risiken für den Konzern.

Das Produkt taugt wenig zur philosophischen Überhöhung. Es scheint mehr auf Aktienkurs und Rendite hin orientiert zu sein als auf die Stammkäuferschicht. Sollte es sich so verhalten, müsste man Apple und seine Aktionäre zur Vorsicht mahnen. Dave Hitz, der Gründer der IT-Firma NetApp, hat einmal gesagt: „Never buy anything from someone who is out of breath“ – kaufe niemals etwas von jemandem, der außer Atem ist. Der Schuss könnte also nach hinten losgehen. Ob die Lücke zwischen Computer und Handy wirklich existiert, für die das iPad entwickelt wurde, ist keineswegs sicher.

Viele vergleichen die Einführung des iPads mit derjenigen des iPhones. Dessen grandioser Erfolg – heute liegt der Marktanteil zwischen zehn und zwanzig Prozent – beruht zu weiten Teilen auf der zuvor an Attraktionen armen Mobilfunkwelt. Und auf der Euphorie der Apple-Gemeinde. Deshalb lohnt es sich darauf hinzuweisen, dass mit der Einführung des iPhones andere Marktteilnehmer ihre Strategie stark verändert haben. Google hat eine eigene Open-Source-Software für Handys auf den Weg gebracht, und Nokia veröffentlicht in diesem Jahr den kompletten Quellcode der weltweit auf Mobilgeräten meistinstallierten Software Symbian. Der Marktdruck, der durch die iPhone-Einführung entstanden ist, war also eine der Hauptinnovationen des Gerätes. Es hat der Konkurrenz Beine gemacht. Vielleicht ebnet das iPad auch unfreiwillig den Weg für eine offenere Generation von Geräten, die einen wirklichen Innovationsschub bringen. Dann könnte man Steve Jobs wirklich dankbar sein.Der Autor ist Gründer der Newthinking Communications GmbH, einer Agentur für Open-Source-Strategien und Technologien sowie Mitveranstalter der Blogger- und Social-Media Konferenz re:publica im April in Berlin (http://newthinking.de).  

Andreas Gebhard

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