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Kultur: Terrain des Wahnsinns

Jörg Immendorff über seine Teilnahme an der Berliner RAF-Ausstellung und die politische Verantwortung des Künstlers

Herr Immendorff, in der RAFAusstellung gehören Sie zu den Künstlern mit der schillerndsten politischen Vergangenheit. Inwiefern waren Sie in den Sechzigerjahren künstlerischer Polit-Aktivist?

Ich habe damals, bevor ich zu einer politischen Gruppierung tendierte, etliche künstlerische Einzelaktionen durchgeführt. Etwa in Trier, wo ich versucht habe, eine Museumswand zu durchbohren, um im wörtlichen Sinne eine Transparenz des Museums zu erreichen. Ich bin allerdings gescheitert, weil ich auf ein Elektrokabel stieß. Eine andere Aktion fand im Schauspielhaus Eindhoven statt unter dem Titel „Ich werde nicht dulden, dass Ihr mich allein lasst“. Ich habe dort Teile der Bühne, das Parkett, Stück für Stück ans Publikum verteilt. Das war eine Zeit, in der die Frage nach dem Subjekt und Objekt in der Geschichte gestellt wurde, nach dem Ich und dem Wir. Es ging um eine Radikalanalyse der jüngsten Vergangenheit, der gesellschaftlichen Befindlichkeit der Gegenwart und ein Engagement gegen Ungerechtigkeit im Lande sowie auch international, siehe Anti-Vietnamkriegsdebatte.

Gab es für Sie Bezugspunkte zur RAF?

Mir war schon damals, als die RAF aus dem Untergrund agierte, eher unheimlich zumute. Wir hielten das für kleinbürgerliches Banditentum. Ich war damals bei der KPDAO, später KPD, also China- orientiert. Unsere Aufgabenstellung lautete eher: Wie organisiert man individuellen Unmut, Gerechtigkeitsempfinden? Wie bringt man das zu einer Effizienz und bleibt nicht nur persönlich empört? Wir haben dann hier in Düsseldorf – noch vor Frankfurt, wenn das überhaupt ein Verdienst ist – die ersten Häuser besetzt. Und wir haben das Büro für Mietersolidarität gegründet, ein eher anarchistisches Büro. Wer bei seinen Aktionen Tote in Kauf nimmt, ob für sich oder für vermeintlich Schuldige, bewegt sich auf einem Terrain des Wahnsinns, von dem es kein Zurück gibt.

Wie kann die Kunst darauf reagieren?

Wut über gesellschaftliche Missstände, der Hauptfeind Dummheit und der künstlerische Gegenentwurf Vision standen stets im dialektischen Verhältnis zueinander. Die Summe aller kulturellen Aktivitäten bietet dann die Möglichkeit, auf die Gesellschaft einzuwirken. Wir brauchen eine Art Kulturrevolution, angefangen im medialen Bereich, in der Bildung, bis hin zur Unterrichtung von Kunsterziehern. Da müssen wir beginnen, da haben wir die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung.

In der Berliner RAF-Ausstellung prallen Kunst und Politik heftig aufeinander. Die Angehörigen der Opfer befürchteten, dass eine Auseinandersetzung mit dem Terrorismus mittels Kunst zu leichtfertig ausfallen würde, eine Verklärung stattfinden könnte. War das berechtigt?

Ich habe großen Respekt vor den Hinterbliebenen und verstehe deren Skepsis gegenüber allem, was nur im Geringsten nach Verniedlichung aussieht.

Es gab dabei die Sorge, dass Kunst nicht in der Lage sei, dem Phänomen RAF gerecht zu werden. Das sollte den Historikern vorbehalten sein.

Das verstehe ich nun wieder nicht. Wenn dem so wäre, gäbe es auch keinen Heinrich Heine, der in seinen Gedichten die politischen Rahmenbedingungen seiner Zeit reflektiert hat. Es gäbe kein GuernicaBild von Picasso, keinen Goya, der sich mit den spanischen Kriegen auseinandersetzte. Ich kann dem nur entgegenhalten: Gerade die Kunst vermag die gesellschaftlichen Katastrophen, die menschlichen Abgründe zu verarbeiten. Selbst wenn das gemalte Bild nur noch schwarz wäre, stünde am Ende die Überzeugung, dass es den Menschen immer in eine positive Richtung drängt. Für die RAF-Ausstellung sind zwei Punkte entscheidend. Erstens: Allen beteiligten Künstlern muss klar sein, dass es keine Möglichkeit gibt, Mord per Kunst zu rechtfertigen. Zweitens: Das Thema muss offen sein für die Kunst beziehungsweise die Kunst muss offen sein für solche Themen.

Ein Plädoyer für mehr politische Kunst?

Ja, die Kunst darf und kann nichts aussparen. Der Künstler ist doch nicht als hehrer Engel vom Himmel gefallen. Er vereinigt in sich alle Widersprüche, die auch in der Gesellschaft zu finden sind: So trägt er genauso den Kleinbürger in sich und wird von der Umwelt beeinflusst wie alle anderen. Schließlich bin ich kein unveränderliches Wesen, das monolithisch standhaft seinen Weg geht. Die Leistung der Kunst besteht gerade darin, sich dieser Einflussnahme wieder zu entziehen, sie niederzuringen.

Der Künstler steht also innerhalb und außerhalb der Gesellschaft zugleich. Er hält ihr den Spiegel vor. Besteht darin auch die Chance der RAF-Ausstellung?

Die Frage, was Kunst zu leisten vermag, ist eine sehr alte. Diese Debatte muss immer wieder geführt werden. Es geht um die Sinnfälligkeit von Kunst als Faktor in der Gesellschaft. Darauf gibt es zwei Antworten. Entweder: Kunst ist eine individuelle Veranstaltung für einen Durchgedrehten, der sich im Atelier verkriecht und dort sein Ding macht, Musik komponiert, Gedichte schreibt. Oder man entwickelt die Gegenfrage: Ob nicht durch die Summe aller kulturellen Aktivitäten in der Gesellschaft eine Atmosphäre entsteht, die Barbarei verhindert? Jemand, der in einem musischen Umfeld aufwächst, wird seinen Mitmenschen nicht so schnell eine Ohrfeige verpassen.

Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin kamen aus kultivierten Elternhäusern.

Ich meine jetzt nicht nur ein großbürgerliches Elternhaus, in dem ab und zu mal Klavier gespielt wird, sondern eine weiterreichende Beschäftigung des Menschen mit dem Menschen. Um nichts anderes geht es in der Kunst. Ich habe die These: Das Bild wirft den Betrachter auf sich selbst zurück. Und es fragt Sie, was Sie mit der Ihnen verbliebenen Zeit anfangen wollen? Wie Sie ihr Dasein auf Erden einschätzen?

Auf dem von Ihnen in der RAF-Ausstellung gezeigten Gemälde von 1981 aus der Serie der „Café-Deutschland“-Bilder ist sehr konkretes Personal der damaligen Zeit zu sehen, unter anderem Rudi Dutschke beim Schachspiel mit HannsMartin Schleyer. Wie kam es dazu?

Das Bild ist einerseits verstandesgemäß, bewusst entstanden. Andererseits gibt es darin etwas, was ich nicht erklären kann, künstlerische Lösungen, die mir zugeflogen sind. In den „Café“-Bildern vereinige ich Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, ordne ihnen neue Rollen zu und stelle damit alles noch einmal auf den Kopf und wieder auf die Beine. Dabei können sich auch Rudi Dutschke und Hanns-Martin Schleyer beim Schachspiel begegnen.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

Mit über 50 Künstlern ist Jörg Immendorff in der RAF-Ausstellung in den Berliner Kunst-Werken in der Auguststraße vertreten, die am Sonnabend eröffnet wird. Der 59-jährige Hochschul- professor an der Düsseldorfer Kunstakademie ist an der Nervenkrankheit ALS erkrankt und war 2004 mit einem Sex- und Kokain-Skandal ins Gerede gekommen. Seine Werke sind zurzeit auch in der Londoner Saatchi-Collection zu sehen.

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