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Kultur: Terror und Freiheit

Ayse Kulin erzählt vom unlösbaren kurdisch-türkischen Konflikt

Demokratische Initiative. So nannte sich die Idee, mit der der türkische Premierminister Tayyip Erdogan den seit der Gründung der Türkei schwelenden Konflikt mit den Kurden lösen wollte. Mit seiner heftig angefeindeten Initiative wollte der islamische Politiker deren Rechte stärken, ihre Sprache legalisieren, und er stellte eine Amnestie für PKK-Kämpfer in Aussicht, die der Gewalt abgeschworen hatten. Inzwischen haben sich die kemalistischen Hardliner wieder durchgesetzt. Ende vergangenen Jahres verbot das Verfassungsgericht in Ankara die Kurdenpartei DTP. Und das Militär setzt bei seinen Offensiven gegen die Kurden im Südosten inzwischen sogar Giftgas ein, um die „Separatisten“ zu bekämpfen. Wieder einmal ist eine überfällige Reformoffensive in dem zerrissenen Land kläglich gescheitert. Erst vor einer Woche kam es zu einem kurdischen Selbstmordanschlag auf dem Istanbuler Taksim-Platz, bei dem 32 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.

Das unauflösbare Drama dieses Konflikts erklärt vielleicht die Tonlage, die Ayse Kulin in ihrem Roman „Der schmale Pfad“ anschlägt. Zwei Frauen, beide um die vierzig, treffen sich in einem Gefängnis in der Türkei. Die eine, Zeliha Bora, ist eine inhaftierte Kurdenpolitikerin. Die andere, Nevra Tuna, ist eine bekannte Journalistin, die mit einem Exklusivinterview einen Wendepunkt ihrer gefährdeten Karriere erzwingen will. Während des Gesprächs stellt sich heraus, dass sie Jugendfreundinnen sind, sich aber aus den Augen verloren haben.

Der Roman besteht hauptsächlich aus ihrem erregten Zwiegespräch, das nicht selten ins Melodramatische kippt. Nevra und Zeliha erinnern sich an ihre Kindheit und erzählen sich ihr Leben.

Die 1941 in Istanbul als Tochter einer Tscherkessin und eines Bosniers geborene Ayse Kulin ist in der Türkei eine bekannte Frau. Die Literaturwissenschaftlerin, die der Sozialdemokratie nahesteht, arbeitete als Filmproduzentin, Regisseurin und Journalistin, bevor sie sich der Schriftstellerei zuwandte. Wie die fast gleichaltrige, linksliberale Journalistin Oya Baydar gehört sie zur Riege der explizit politischen Autorinnen. In den 21 Werken, die seit ihrem Debüt 1984 erschienen sind, behandelte sie den bosnischen Bürgerkrieg, die Geschichte der östlichen Landesteile der Türkei oder die Rettung von Juden durch türkische Diplomaten während des Zweiten Weltkriegs.

Die Leidenschaft der Autorin für die Politik lastet auch auf diesem Buch. Es ist nicht die schlechteste Idee, mit dem Bild der wechselseitig verschlungenen Schicksale an die Gemeinsamkeiten von Kurden und Türken in Geschichte und Alltag zu erinnern. So holzschnittartig wie sie diese Schicksale zeichnet, verliert der Roman jedoch schnell.

Die gemeinsame Kindheit wird zur symbiotischen Zeit verklärt, als Kurden und Türken noch voneinander lernten und sich gegenseitig halfen. Die beiden Frauen müssen Schnittmusterbiografien referieren: Die gebildete Mittelschichtlerin im Gefängnis der Ehe hier, das einfache Kurdenmädchen, das dem Bannkreis des Familienclans nicht zu entrinnen vermag, dort. Kulin hält ihre Protagonistinnen wie Handpuppen hoch, die die konträren Standpunkte der beiden Volksgruppen nachzuplappern haben. Da verhallt am Ende auch das Plädoyer für den Dialog, das in dem Streitgespräch angelegt ist: „Glaubst du vielleicht, dass die Leute sich freiwillig dem Terror verschrieben haben?“, empört sich Zeliha über Nevras Vorhaltungen, dem „Irren“ Öcalan nicht abzuschwören. „Aber ist es leicht, gegen euren Starrsinn anzukommen?“, hält die ihr entgegen. Manchmal hat man den Eindruck, die erstarrten politischen Fronten in der Türkei schlagen auch auf die ästhetischen Mittel durch.

Mit den Stereotypen gerät „Der schmale Pfad“ noch stärker an den Rand der Kolportage als Kulins Mainstream-Romane sonst schon. Und die in der Türkei viel diskutierte Frage, ob die Journalistin ein gescheitertes Interview mit der seit 1994 immer wieder inhaftierten Kurdenpolitikerin Leyla Zenya, die erkennbar die Vorlage für die Person der Zeliha Bora abgibt, zu einem Roman umgewidmet hat oder nicht, wird angesichts der forcierten Instrumentalisierung zweitrangig. Am Ende mutiert Nevra vollends zur Leitartiklerin: „Aber komm, lassen wir Geschichte Geschichte sein und kommen wir wieder zur Gegenwart. Überlegen wir lieber, was heute zum Wohle beider Völker getan werden kann.“ Als politische Losung mag das durchgehen. Als literarisches Konzept ist es fatal.

Dass der Unionsverlag Kulins Buch in die verdienstvolle, mit 20 Bänden nun soeben abgeschlossene Türkische Bibliothek aufgenommen hat, mag der Bedeutung des Kurdenproblems und dem Mut der Autorin geschuldet sein. Bei seinem Erscheinen in der Türkei vor fünf Jahren schlug „Der schmale Pfad“ hohe Wellen. Wer die Kurdenfrage damals so offen diskutierte, bekam noch schneller den Knüppel der Anklage wegen Hochverrats zu spüren. An der literarischen Qualität kann es nicht gelegen haben. Wer die Literatur für die bessere Politik hält, wird in Kulins Buch eines Besseren belehrt.

Ayse Kulin:

Der schmale Pfad.

Roman. Aus dem Türkischen von Angelika Gillitz-Acar und Angelika Hoch. Nachwort von Jens-Peter Laut. Unionsverlag, Zürich 2010. 282 S., 19, 90 €.

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