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Kultur: Teufelskreis

„Der Weg zum Glück“ im Deutschen Theater

Der Mann geht. Oder besser: Seine Beine gehen, und der Mann muss ihnen folgen. Er kommt aus einem schwarzen Nichts, um ihn herum ist alles leer. Das düstere Rund der kahlen Bühne gehört ihm allein, hier kann er ausschreiten, wohin er will. Und kann es nicht. Unser Held will nach vorn, er wird in Kreise gezogen. Er strebt aus den Kreisen heraus, und gerät ganz nahe ans Publikum. Da vorn muss er Witze erzählen, gegen seinen Willen. Im Zentrum des Raums packt ihn Panik, die nur schwer abzuschütteln ist. Sein Schicksal scheint geheimnisvoll eingeschrieben, so tapfer und unermüdlich er auch schreitet im klopfenden Rhythmus der harten Schuhsohlen. Dem Vorbestimmten entkommt er nicht, was er sagen und mitteilen will, wird ihm wie von einer fremden Macht zerstört, entrissen. Er träumt, er schläft, er verdoppelt sich und bleibt endlich stehen, nach neunzig Minuten des pausenlosen Herumgehens.

Dass auf dem „Weg zum Glück“ die Abenteuer des Lebens lauern, wäre eine wohlfeile Botschaft. Ingrid Lausund, 1965 in Ingolstadt geborene Autorin und Erzählerin, will mit ihrem so scheinbar ganz banal benannten Theatertext für einen Schauspieler natürlich darüber hinaus. Hohe nervliche Anspannung, Zwang zur Selbstanalyse, Fremdbestimmung kleidet sie in Späße ein, hochintelligente und (bewusst) strohdumme, sie bringt die Zeit in Aufruhr, fantasiert auch den letzten Fetzen von Realität weg und packt Wirkliches gerade deshalb unbarmherzig bei all seiner Bosheit. Am Deutschen Schauspielhaus Hamburg hat Ingrid Lausund ihren Monolog selbst inszeniert (Raum, Kostüme und Licht Beatrix von Pilgrim), jetzt gab es in den Kammerspielen des Deutschen Theaters die Berliner Premiere. Sie endete in lautem Jubel – und das ist dem Schauspieler Bernd Moss zu danken.

Gehen ohne Pause, ohne auch nur eine Sekunde des Innehalten, fordert eine gnadenlose geistige und körperliche Disziplin. Denn Moss geht ja nicht nur, er denkt im Ausschreiten, wechselt Leichtigkeit und Schwere der Bewegung, kommt mal stockend, mal fließend voran, gerät ins Tänzeln, friert wieder ein im strengen Vorwärtsgang, wehrt sich gegen den Zwang zum Kreiseln. Was der Geist will und der Körper nicht schafft, oder was der Körper erzwingt gegen den Geist, wird heiter, und auch sehr schmerzhaft anschaulich. Geschichten bleiben stecken, in halben, abgehackten Sätzen. Aber gestisch kommen sie zur Vollendung, im Lauern, im Umsehen, in der Entdeckung von Leuten, Gegenständen, Landschaften, die gar nicht da sind. Moss macht zum Ereignis, wie von den Wänden eine geheimnisvolle, hypnotische Abwehrkraft ausgeht, die Bewegungsrichtungen immer wieder ändert und umpolt. Diese vielfach variierten Gangfolgen muss der Zuschauer für sich entschlüsseln, das geht bis an die Grenze der Konzentrationsfähigkeit. Der einsame Läufer ist ein neuer Held aus der Kafka-Familie, einer der Unermüdlichen, die nie aufgeben und nie ans Ziel kommen. Christoph Funke

Wieder am 29. Januar in den DT-Kammerspielen.

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