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Kultur: Teure Halle, tobend

Nein, die Berliner Staatsoper verzichtet tatsächlich weiterhin auf die Handy-Warnung: Was in anderen Häusern längst üblich ist - eine Lautsprecheransage kurz vor Vorstellungsbeginn, die dazu auffordert, alle Taschentelefone ruhig zu stellen -, bleibt auch während der Wagner-Festtage Unter den Linden tabu. Selber Schuld!

Nein, die Berliner Staatsoper verzichtet tatsächlich weiterhin auf die Handy-Warnung: Was in anderen Häusern längst üblich ist - eine Lautsprecheransage kurz vor Vorstellungsbeginn, die dazu auffordert, alle Taschentelefone ruhig zu stellen -, bleibt auch während der Wagner-Festtage Unter den Linden tabu. Selber Schuld!, denkt der Kritiker, der aus leidvoller Erfahrung weiß: Je teurer die Tickets, je prestigeträchtiger das Event, desto höher die Störquote durch jene Adabeis, die es nicht gewohnt sind, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als sich selber. Man denke nur an die gnadenlos zerhusteten Auftritte Anne-Sophie Mutters in der Philharmonie. Wie soll es da erst bei Daniel Barenboims Richard-Wagner-Marathon werden, dem Gesellschaftsgroßereignis des Jahres?

Doch was ist das: Kein mobiles Klingeln stört den Abend, kein Geraschel und Geräusper. Der ausverkaufte Saal lauscht hingerissen. Wenn Angela Denoke unfreiwillig zweideutig singt "Dich, teure Halle, grüß ich wieder", wenn sie im dritten "Tannhäuser"-Akt das Gebet der Elisabeth mit der Seelenkraft einer verzweifelt Liebenden gen Himmel schickt, kann man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören. Und einen Stein vom Herzen des Kritikers: Sie sind also tatsächlich gekommen, die Wagnerianer aus aller Welt, die fanatischste Opernfan-Clique der Welt - und zugleich die beweglichste: Weder Mozart- noch Verdianer reisen um den halben Erdball, um ihrem Meister nahe zu sein. Für den einmaligen Komplettzyklus aller zehn Meisteropern Wagners aber hat sich sogar ein halbes Dutzend Australier auf den Weg nach Berlin gemacht. Auch viele Spanier sind da, die mit charmantem Lokalpatriotismus den gebürtigen Argentinier Barenboim als einen der Ihren vereinnahmen, man hört Italienisch und Japanisch, Französisch und natürlich Englisch aller Akzentschattierungen.

Und noch eines fällt beim Flanieren in den Foyers auf: Trotz des Medien-Hype, trotz der Sonderpreise, trotz des Pausenhäppchen-Angebots vom Adlon für 45 Euro sind die Gäste in Smoking und Abendkleid eindeutig in der Minderheit. Die multilinguale Menge ist nicht schicker gewandet als das Publikum bei einer ganz normalen Staatsopern-Vorstellung. Das passt zu den Sängern: Es sind nämlich dieselben, die hier auch sonst im Repertoire-Alltag zu hören sind. Anders als in mittleren Häusern, die regelmäßig für den "besonderen Opernabend" Stars einfliegen lassen, steht Unter den Linden immer die crème de la crème des Wagner-Fachs auf der Bühne.

Die angereisten Wagnerianer stört das freilich kaum: Was sie nicht wissen, macht sie nicht heiß. Dafür sorgen schon eher der wunderbare, glutvolle Sound der Staatskapelle und die exzellenten Solisten. Bei Schlussapplaus herrscht echte Festtags-Stimmung: Nach dem musikalisch makellosen "Fliegenden Holländer" werden vor allem Anne Schwanewilms und Falk Struckmann bejubelt. Beim "Tannhäuser" am Dienstag ist neben der sensationellen Angela Denoke und ihrem Tenor Robert Gambill der Wolfram-Darsteller Roman Trekel unbestrittener Publikumsliebling: Ein schöner Erfolg für die Ensemblepolitik der Staatsoper, ist doch Trekel seit Beginn seiner Karriere dem Haus eng verbunden.

Am allermeisten Applaus aber heimst - selbstverständlich - Daniel Barenboim ein, der weltweit geliebte Maestro, der Chef unter den Dirigenten, der genialische Dickschädel mit dem Hang zum Extremen. Wenn er nach dem musikalisch rundum beglückenden "Tannhäuser" voller exzentrischer Tempowillkürlichkeiten schließlich allein vor den Vorhang tritt, mit napoleonischem Lächeln und offenem FrackhemdKragen, wenn er sein Publikum symbolisch umarmt und dabei die weißen Hosenträger hervorblitzen lässt, dann trampelt der ganze Saal. Genauso wie in Bayreuth.

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