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Tätern auf der Spur. In "The Act of Killing" stellen Mitglieder indonesischer Todesschwadrone die eigenen Taten nach - hier etwa als Musical.

© dpa

"The Act of Killing" kommt ins Kino: Die indonesische Schlinge

In Joshua Oppenheimers Dokumentarfilm „The Act of Killing“ spielen Massenmörder sich selbst. Sie sind bis heute Volkshelden.

Kann ein Einzelner die Geschichtsschreibung eines Landes verändern? Gewaltlos? Nur dadurch, dass er den richtigen Leuten die richtigen Fragen stellt? Joshua Oppenheimer ist im Begriff, das zu tun.

Anwar Congo war der 41. Mörder, den er filmte. Einer der Anführer eines indonesischen Todesschwadrons nach dem Militärputsch von 1965, der einige hundert der eine Million Opfer eigenhändig getötet hat. Anwar führt den amerikanischen Regisseur auf eine Dachterrasse, er hat sich schick gemacht und führt vor, wie er an eben diesem Ort hunderte Kommunisten sterben ließ. Mit Draht, weil es weniger spritzte. Anwar erläutert das zuvorkommend. Einen Draht hat er dabei. Dann knicken überraschend seine Knie ein und der Mörder tanzt einen Cha Cha Cha.

Zwischen Bewunderung und Unglauben reißt es einen im Kinosessel hin und her. Unfassbar, dass Anwar und seine Freunde hier so vertrauensvoll ihre Taten beschreiben. Wenn es wirklich die Mörder sind, warum sind sie dann so zutraulich? Unglaublich, dass es die gleichen Menschen sind, die 1965 im Auftrag mordeten – und noch immer an der Macht sind. Dass sie einwilligen in ein so irre scheinendes Projekt: für das Kino ihre Taten nachzuspielen.

Schrecklich unterhaltsam machen sie das. Weil es nie eine Aufarbeitung gab, muss sich keiner schämen. Sie sind keine geläuterten Zeitzeugen der Vergangenheit, sondern triumphierende Gewinner der Gegenwart, die sich jetzt ein bisschen brüsten wollen. Zeigen, wie sie ganz nach oben kamen mit dem Auftrag ihres Lebens, der im Töten bestand. Und der sie von ihrer Existenz als Kleinkriminelle, die vor dem Kino ihrer Stadt auf dem Schwarzmarkt Karten vertickten, erlöste und zu Auftragsmördern adelte. Direkt aus dem Kino mitgenommen haben sie die effektive, innovative Tötungsmethode mit der Drahtschlinge.

Die Mörder wollen diesmal nur spielen: sich selbst. Sie bringen Requisiten, Hüte, Perücken, Masken mit, und Oppenheimer schaut ihnen zu. Und führt den Zuschauer damit an einen kaum zu bereisenden Ort: in die Köpfe der Mörder. In die tatsächlichen Köpfe der tatsächlichen Mörder. Denn er filmt auch, wie er ihnen die ersten Resultate zeigt und wie sie darauf reagieren. Und alle können sehen, wie da ein psychologisches Narbengewebe ganz langsam in Bewegung gerät.

Der Verfolger. US-Regisseur Joshua Oppenheimer bei einem Besuch in Berlin.
Der Verfolger. US-Regisseur Joshua Oppenheimer bei einem Besuch in Berlin.

© Thilo Rückeis

Dass es möglich ist, so etwas mit realem Material zu drehen, das macht Gänsehaut. Wer braucht noch Fiktion, wenn es solche Dokumentarfilme gibt?

Joshua Oppenheimer sitzt in den Räumen eines Berliner Filmverleihs und sagt: „Die Mörder sind nicht stolz. Sie behaupten, stolz zu sein, um ihre Taten nicht hinterfragen zu müssen.“ Er sagt: „Sie legen keine Beichte ab, sie liefern eine Show.“ Und: Der notorische Spaß, die Heiterkeit, „das ist ihre Form des Leugnens.“

Natürlich hat Oppenheimer seine Argumentation geschliffen. Es ist nicht mehr originell, seinen Film zu loben. Er wurde gefeiert auf der Berlinale, wo er den Panorama-Publikumspreis erhielt, und das ist nur einer von 25 Preisen rund um die Welt. Die Ironie ist, sagt Oppenheimer: „Es geschieht ja, weil sie moralisch sind. Ihr moralisches Empfinden ist der Grund dafür, weshalb alle weiteren Morde notwendig werden.“ Denn der erste Mord korrumpiert. „Dann beginnt die Abwärtsspirale ins moralische Vakuum. Alle weiteren Taten müssen diesen ersten Mord rechtfertigen.“ Und: „Wie kam es denn bis zur Wannsee-Konferenz? – Nicht einfach so.“

Hier mündet Oppenheimers Film in seine allumfassende Forschungsfrage, die ihren Resonanzraum auch aus der Tatsache gewinnt, dass seine Großeltern nur knapp dem Holocaust entkamen. Der 39-jährige Enkel will mit seiner Arbeit bis in das moralische Vakuum eines Genozids vordringen. Er widmet sich der Dynamik von Massengewalt, dem komplizierten Geflecht aus Ursache und Wirkung, das man nicht verhindert, indem die ganze Welt einfach „Nie wieder“ ruft.

Und so fährt er nach Indonesien und forscht, scheinbar ohne zu werten und folgt seinen Helden überall hin. Es ist kaum auszuhalten. Wir sehen, wie die Mörder ein Massaker in einem Dorf nachspielen, mit lautem Gebrüll, die Kinder sind nach ihrer Fähigkeit zu weinen gecastet worden.

Er hält das aus, und unzählige weitere indonesische Helfer auch, die im Abspann des Films aus Sicherheitsgründen nur „Anonym“ heißen dürfen. „Wir schulden es den Opfern, dass wir unbeirrt hinsehen“, sagt Oppenheimer.

Zwischendurch fährt er nach Hause in die Staaten und hat Albträume. Sammelt sich wieder. Hört sich von seinen Verwandten an, dass er aufhören soll mit diesem Thema, das ihn selbst zerstört. Fährt wieder hin. Über Jahre. Nie sagt er: Jetzt weiß ich genug. Genug, um zu verurteilen. Er zeigt einfach die Mörder, in deren übertriebenem Spiel viel mehr Wahrheit liegt als hinter ihren Masken des Alltags. Unter der bisweilen grotesken Verkleidung der Protagonisten mit Frauenkleidern und Perücken kann die Wahrheit ungeschminkt zutage treten: Es ist die Selbstverständlichkeit, mit der das Morden begrüßt wird.

Irgendwann schlägt Anwar vor, in einem Verhör das Opfer zu spielen. Er lässt sich schminken – jemand verhört ihn, legt ihm die Drahtschlinge um den Hals – und dann muss er abbrechen, wirkt geschockt. Später sieht er sich die Sequenz an und will die grausliche Szene seiner Demütigung seinem kleinen Enkel zeigen. „Er macht das, um sich und anderen zeigen zu können: Es ist nur ein Film“, sagt Oppenheimer. Um das Geschehen ein für allemal in die Sphäre des Kinos zu bannen.

Als Anwar Congo die Szene sieht, sagt er, er habe den Verlust seiner Würde gespürt: So müssen sich seine Opfer gefühlt haben. Nein, sagt da Oppenheimer aus dem Off, denn er wisse, es ist nur ein Film. Seine Opfer wussten, dass es jetzt wirklich ans Sterben ging.

„Wir sympathisieren mit Anwar, weil er ehrlich ist. Nicht, weil er der weniger Böse ist. – Er ist der Böseste“, sagt Oppenheimer nun. Wenn er zeigt, dass die Mörder Menschen sind, dann hat das nichts Entschuldigendes. Im Gegenteil, die Erkenntnis ist viel härter: Wenn alle Mörder Menschen sind, ist es offenbar menschenmöglich, zum Mörder zu werden.

Oppenheimer sagt, er drehe immer so lange, bis er das Gefühl hat, jetzt kommt nur noch mehr, nichts Besseres. Als er mehr als 1000 Stunden zusammen hat, beginnt er mit der sorgfältigen Freilegung des Films aus dem Berg des Materials.

Am Ende gehen sie noch einmal auf die Dachterrasse, wo die Morde stattfanden. Anwar wird plötzlich von einem trockenen Würgereiz übermannt. Er würgt und würgt, aber heraus kommen nur die erbärmlichsten Geräusche. „Er kann es gar nicht rausbringen“, sagt Oppenheimer, „denn das Übel ist er selbst.“ 

Anwar sagte sich 1965: Es ist nur ein Auftrag. Jetzt will er sich sagen: Es ist nur ein Film. Wir sagen: Es ist nur Indonesien. Aber Oppenheimer sagt: Das stimmt nicht. Wir sind es alle. Die Mechanismen der Massengewalt seien auch hier am Werk. Auch jetzt, da wir hier sitzen, sagt er und zupft an seinem Pullover. „Ich bin ja auch Teil der Verdrängung.“ Wir wissen, dass für die billigen Klamotten, die wir am Leibe tragen, anderswo Leute sterben, zumindest früher und ärmer sterben, wir wissen es doch. Oder nicht? „Der Film soll uns den Mut geben, anzugucken, was wir schon wissen.“

Weil Oppenheimer fürchtete, es könne in Indonesien zu Gewaltausbrüchen kommen, wenn sie den Film zeigen, haben sie mit kleinen Vorführungen und persönlichen Einladungen angefangen. Ein großes Nachrichtenmagazin hat ein Sonderheft mit 75 Seiten Interviews mit den Mördern veröffentlicht. Den Film gibt es jetzt in Indonesien als kostenlosen Download.

„Ich habe mal gesagt: Wir alle sind Gäste an der Tafel eines kannibalischen Festgelages. Aber das stimmt eigentlich nicht“, sagt Oppenheimer. „Wir sind die Gastgeber.“

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