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Pentheus (Günter Pappendell) will sich ein Bild vom Zustand des Volkes machen und mischt sich als Frau verkleidet unter die Menge.

© Monika Rittershaus

„The Bassarids“ an der Komischen Oper: Dunkle Triebe im gleißenden Licht

Und der Wahnsinn siegt. Barrie Kosky bringt Hans Werner Henzes Tragödie „The Bassarids“ auf die Bühne der Komischen Oper – und holt das Orchester nach oben.

Es klingt so harmlos, „Gott des Weines“. Einen gemütlichen Herrn mit Plauze stellt man sich da vor, Reben im Haar, Glas in der Hand, Lächeln im Gesicht. Die Wahrheit ist brutaler. Dionysos oder Bacchus ist der Meister des Rausches, der Triebe und Ekstase, er entgrenzt und verwandelt – nicht umsonst ist er auch der Gott des Theaters –, er bindet nicht, er löst.

Und das kann durchaus tödlich enden. Nietzsche wusste: Das Dionysische bildet mit dem Apollinischen die Doppelherzkammer der Kunst, beides ist notwendig, das eine befeuert, das andere löscht. Auf genau diesen Konflikt von Vernunft und Leidenschaft, wie er in unterschiedlicher Ausprägung in jedem Menschen angelegt ist, zielt Euripides’ Tragödie „Die Bakchen“, um 406 v. Chr. in Athen uraufgeführt

Auf ihr wiederum basiert Hans Werner Henzes 1966 komponierte Oper „Die Bassariden“ . An der Komischen Oper haben Dirigent Vladimir Jurowski und Regisseur und Hausherr Barrie Kosky jetzt, nach dem riesigen Erfolg von Schönbergs „Moses und Aron“, mit den „Bassariden“ erneut gemeinsam ein Stück Musiktheater auf die Bühne gehievt, das zwar aus dem 20. Jahrhundert stammt, aber auf einen antiken, archaischen Stoff zurückgreift.

Und zwar auf Englisch, als „The Bassarids“, den in dieser Sprache hat das Schriftstellerpaar W.H. Auden und Chester Kallman das Libretto ursprünglich verfasst; für die Uraufführung bei den Salzburger Festspielen kam eine deutsche Übersetzung zum Einsatz.

Licht aus, die Vorstellung beginnt: Das gilt hier nicht. Die Saalbeleuchtung bleibt die ganze Zeit an. Und erhellt eine Inszenierung, die roher, unmittelbarer, grausamer kaum sein könnte. Kulissen gibt es so gut wie keine, oder vielmehr: das halbe Orchester, die Bläser vor allem, und eine Treppe für den Chor bilden die Kulissen.

Das Konzept wurde aus der Not geboren

Die andere Hälfte der Musiker – Streicher und Schlagwerk – sitzen im Graben, dazu ein Steg, der sie vom Publikum trennt. Warmweißes Licht, schwarze Anzüge: Die Kontraste sind so hart wie der Stoff. Was aus der Not geboren war (es gab nicht genug Platz im Graben für das große Orchester, das Henze fordert) wirkt schlüssig, erinnert an ein griechisches Mysterienspiel unter Hellas heiterer Sonne.

Natürlich könnte man das viel dramatischer, mit raffinierten Lichteffekten und überdrehten Kostümen inszenieren. Aber so behält das Geschehen eine Direktheit, die in ihrer Simplizität umso wuchtiger wirkt. Der Abend straft diejenigen Lügen, die behaupten, Kosky würde immer das Gleiche machen. Seine stilistische Sprache, seine Formenvielfalt wird häufig übersehen.

Günter Papendell ist ein stimmmächtiger Pentheus

Allerdings müssen die Solisten auch kräftig gegen das Einheitslicht anspielen, damit sich keine Eintönigkeit einstellt. Das tun sie mit Bravour. Günter Papendell ist ein so stimmmächtig-zorniger wie physisch schmächtiger, asketischer König Pentheus, Vertreter der Ratio, der in seiner Stadt Theben den Dionysoskult nicht zulassen will und ihm doch verfällt.

Dieser Niedergangsprozess spiegelt sich in der sukzessiven Auflösung seiner strengen Gelfrisur, und während er noch vorne auf dem Steg steht und fuchtelt, getrennt von den anderen, weiß man schon, dass diese Barriere nicht lange Bestand haben wird, dass er früher oder später in den Armen seines Gegenspielers landet.

Diese Figur, ein geheimnisvoller Fremder, kommt in die Stadt und predigt den neuen Kult. Am Ende entpuppt er sich als Dionysos selbst. Und so glasklar-lieblich, wie Gastsolist Sean Pannikar die Terzen und Quarten, die melodischen Linien singt, die Henze dem Dionysos zugedacht hat, so sehr kann man auch nachvollziehen, warum viele Getreue ihm im Rausch folgen.

Der Autor hat sich tief im Mythos versenkt

Das Dunkle, Bösartige, das sich in den tieferen Schichten von Pannikars Tenor verbirgt, hören sie nicht. Auch die dritte Solistin, die an diesem Abend fulminant reüssiert, lässt sich blenden: Tanja Ariane Baumgarter.

Sie singt Agaue, Pentheus’ Mutter. Henze, der zum Zeitpunkt der Entstehung der Oper schon viele Jahre im freiwilligen Exil in Italien gelebt hat, wo er Befreiung fand von der Nazi-Vergangenheit seines Vaters und der rigiden Strenge der Darmstädter Schule – Henze und seine beiden Librettisten haben sich tief im Mythos versenkt, sind all seinen Details und Verästelungen gefolgt.

Die Genealogie ist kompliziert, nur soviel: Agaue ist die Schwester der Semele, die in dieser Oper nicht direkt auftritt, aber als Mutter des Dionysos wie ein Schatten über allem lauert. Denn Semele verbrannte zu Asche, als Zeus – Dionysos’ Vater – sich ihr in seiner wahren, göttlichen Gestalt zeigte.

Sie zu rächen, ist Dionysos überhaupt erst nach Theben gekommen. Es funktioniert: Agaue enthauptet im Wahn ihren eigenen Sohn Pentheus, der sich – Günter Papendell in Stöckelschuhen und bodenlangem Kleid – als Frau verkleidet hat, um auszuspionieren, was die „Bassariden“ auf dem Berg Cytheron treiben.

[Komische Oper Berlin, wieder am 17. und 20.10. sowie am 2., 5. und 10.11.]

Auch die Nebendarsteller überzeugen

Wie Baumgarter die blutigen Überreste ihres Sohnes in einer Plastiktüte präsentiert – sie glaubt anfangs immer noch, ein wildes Tier erlegt zu haben –, wie die Erkenntnis langsam in ihr dämmert und sie die jämmerlichen Fleischfetzen, Sehnen und Stränge auf dem Boden ausbreitet, um sie anschließend wieder zusammenzuklauben und wie ein Baby an die Brust zu halten: Das schockiert.

Viel zum Gelingen tragen auch die Nebendarsteller bei: der im Dauerkrümm- Modus über die Bühne humpelnde Jens Larsen als alter König Cadmus, Tom Erik Lie als Hauptmann oder die stimmgewaltige Margarita Nekrasova als Amme Beroe. Und natürlich die von Otto Pichler choreografierten Tänzerinnen und Tänzer, die den ganzen Wahnsinn dieses Kults ins Körperliche übersetzen. Im Graben stürzen sich Jurowski und das Orchester der Komischen Oper mit fiebriger Aufmerksamkeit und doch großer Souveränität in diese Partitur.

So wird, obwohl der Erregungspegel der Musik quasi ständig am Anschlag liegt, klar hörbar, dass sie strukturiert ist wie eine viersätzige Symphonie. Ganz am Ende, als der siegreiche Gott seine zu Asche verbrannte Mutter in den Olymp erhebt, erlischt das Saallicht doch noch. Ruhe? Frieden? Wer glaubt, dies sei ein Happy End, ist Dionysos schon wieder auf den Leim gegangen.

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